Dieser Text von ©Hans Obermair erschien am 18.11.2021 in der Ebersberger Zeitung
Erinnerung an die Wanderschäferei in Ottersberg
Zumindest in den monotheistischen Religionen sind Schafe Opfertiere, eben weil sie für den Menschen einen hohen Stellenwert hatten. Die Einheit und Abhängigkeit von Hirte und Herde hat besonders in den christlichen Religionen hohe symbolische Aussagekraft: Der „gute Hirte” ist Vorbild und Schutz für den Menschen.
Das Viernutzungstier Schaf (Fleisch-Wolle-Leder und Milch) ist, besonders auch für landwirtschaftlich weniger attraktiven Böden bestens geeignet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie auch in unserer heutigen Landwirtschaft als Nutztiere vorkommen. Schafe waren auch bevorzugtes Leihobjekt. In der Steuerbeschreibung von 1671 ist dies des Öfteren aufgeführt. Die Schur der Wolle war sozusagen die „Leihgebühr”. Entleiher waren oft Wirte oder Metzger, die mehr am Fleisch als an der Wolle interessiert waren. Überdies waren Schafe leicht zu transportieren, denn sie liefen selbst. Schafe waren auch für die kleinteiligen Fluren früherer Zeiten, als noch Dorfhirten den Viehbestand eines Dorfes mit versorgten. Also nach Ernte der Sommerung und Winterung, als auch für die jedes dritte Jahr anfallenden Brache, geeignete Weidetiere. Sie fanden ihre Nahrung auch noch auf Flächen, die von Rindern bereits genutzt waren und so auch „Spezialisten” für Reste. Dies galt auch für Futterreste auf den Anwesen. Ihr Viermägen-Wiederkäuer-System begünstigt dies.
Die kleinteilige Schafhaltung gab es durch alle Zeiten. Besonders von kleineren Betrieben gepflegt und besonders in „schlechter” Zeit, wo Eigenversorgung einen hohen Stellenwert hatte.
Zur bäuerlichen Schafhaltung auf den einzelnen Anwesen gibt es die Wanderschäferei. Es sind dann schon einige Hundert Tiere, die eine Herde bilden. Diese Art der Haltung, die ja auf wesentlich größere Flächen angewiesen ist, ist wesentlich jünger als die traditionell bäuerliche. Sie ist nicht Zubetrieb sondern Hauptbetrieb. In Zeiten und Gegenden wo die Wanderschäferei nicht in den Ablauf der Landwirtschaft passt, ist diese auf Stallhaltung angewiesen. Es sei denn, es gab genügend große, nicht landwirtschaftlich genutzte Weideflächen, wie zum Beispiel einen Flughafen. So war es auf dem Gelände des alten Flughafen Riem. Hier ging es vorrangig um Landschaftspflege.
Die Wanderherde gehörte ab den Tagen des Herbstes sozusagen zum Landschaftsbild. Musste man in ein neues Weideland „umgetrieben” ging das in der Regel über öffentliche Straßen – wenn auch mit Behinderung des Verkehrs. Die Weide bildete zunächst der sogenannte „Sograt”, das waren die Halme der auf abgeernteten Getreideflächen aufgegangenen Körner. Dann, und das bis in den November hinein, Wiesen, entweder nach dem letzten Schnitt oder nach der Weide durch die Rinder.
Die Wanderschäferei in den 1950er Jahren kenne ich aus eigenem Erleben in Ottersberg. Schafe waren hier nichts Neues: Beim Wirt in Ottersberg gab es zum Beispiel einen Gebäudeteil, den man den „Schafstall” nannte. An einen Schafbestand auf einzelnen Anwesen kann ich mich nicht mehr erinnern.
Also zur Wanderschäferei: Der Maier Schorsch aus Eicherloh fragte schon früh genug, eventuell schon am Ende der vorigen Saison, beim Ortführer, dem „Sprunkmoar”Taddäus Burghart, ob er im kommenden Herbst wieder auf der Ottersberger Flur „auftreiben” dürfe. Wenn es dann soweit war, kam er mit seinen 300 bis 400 Schafen und seinen zwei Hütehunden auf die Ortsflur. Sein Schäferkarren, in dem er dann übernachtete, stand schon auf dem vereinbarten Feld. In der Nähe stellte er seinen „Pferch”, das war ein versetzbares Zaungeviert, etwa 20 mal 20 Meter -, auf, in dem seine Schafe bei der Nacht eingesperrt wurden. Dort machten sie viel Mist. Diese Düngung musste dem Bauern etwas wert sein. Und so wurde alle 14 Tage beim Wirt der „Pferch” für die nächsten zwei Wochen versteigert. Das konnten an zum Beispiel die 30 Mark sein, die in die Ortskasse einbezahlt wurden.
Aus dieser Ortskasse wurden dann Aufgaben des Ortes, zum Beispiel die Instandhaltung der Wege, finanziert. Zu diesen Arbeiten, die man „Schar- werch” nannte, sagt der Ortsführer von Haus zu Haus ein und alle kamen. Die größeren Bauern mit Mann und Fuhrwerk und die kleineren mit Rechen und Schaufeln. Zum Aufladen des Kieses leistete man sich schon damals einen Bagger vom „Pfarrerbauern” in Lands-ham. So wurden die Wege des Ortes instand gehalten. Eine Brotzeit wurde natürlich auch finanziert.
Am Ende der Herbstsaison stiftete der Maier Schorsch einen geschlachteten Hammel. Die Wirtin verarbeitete diesen zu einem Ragout. Natürlich mit Knödel und Zutaten. Für die Wirtin dürfte es nicht immer leicht gewesen sein, diesen mehr oder weniger alten Hammel zu einem „Schmaus” zuzubereiten. Alle, die Grundstücke in der Ottersberger Flur hatten, waren zu diesem Essen beim Saisonausklang eingeladen und alle kamen. Letzte Wanderschäfersaison dürfte um 1960 gewesen sein. So wie sich die Landwirtschaft seither stark verändert hat, war es auch bei der Schäferei.
Heute ist der Wanderschäfer nicht mehr in erster Linie Fleisch- und Wolllieferant, sondern Landschaftspfleger. Auch das Umsetzen in ein anderes Gebiet erfolgt nicht mehr „zufuß”, sondern mit entsprechenden Fahrzeugen. Die Globalisierung hat sich auch in diesem uralten Gewerbe ausgewirkt. Schaffleisch- und Wolle aus aller Welt wurde zum Standard. Schade! Und das nach Jahrtausenden allein heimischer Schafhaltung