Konstanze Kilger©
Das Jahrhundert-Hochwasser
Eines der vielen
Jahrhundert-Hochwasser
dieses Jahrhunderts – und wie es in Glonn war
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Einige Tatsachen über Glonn
In den letzten drei Jahren ist wieder viel Wasser die Glonn hinuntergeflossen – auch wenn es kein Hochwasser mehr war. Eigentlich will auch gar niemand mehr was davon hören, denn dieses Ereignis hat viel Arbeit gemacht, viel Geld gekostet und am liebsten wäre es den damals Betroffenen heute, wenn jetzt wieder ein halbes Jahrhundert Schluss wäre mit Hochwasser. Vor dem 10. August 2002 war die Gemeinde Glonn im Landkreis Ebersberg ein beschaulicher Marktflecken im Südosten von München, der hauptsächlich wegen seines landschaftlichen Reizes bekannt war (und bei Insidern höchstens noch dafür, dass der Glonner SPD-Bürgermeister Martin Esterl als Einziger seiner Partei in Bayern bei der Kommunalwahl fast 80 Prozent geschafft hat). Nach dem 10. August kannte man Glonn ein paar Tage mindestens bayernweit wegen dieses Hochwassers. Darüber berichteten alle Zeitungen und es schien, als wäre dieses Unglück aus dem Nichts über ein unschuldiges Dorf hereingebrochen. Dann kam aber die Elbe-Flut in Ostdeutschland und das bescheidene Glonner Hochwasser geriet in Vergessenheit, zumal die Schäden voller Tatkraft unverzüglich beseitigt wurden. Nicht einmal ein Ferseh-Nachsendung unter dem Motto „Ein Jahr nach dem Hochwasser – was ist geblieben?“ wie in etwa Dresden hat stattgefunden – und wurde wohl auch nicht vermisst. Aber für die Glonner ist der Begriff Hochwasser“ seit 2002 mit vielen persönlichen Erfahrungen verbunden. Der Markt Glonn liegt gerade weit genug entfernt von der bayerischen Landeshauptstadt, um nicht mehr Vorstadt zu sein. Andererseits ist die Großstadt für Pendler aber auch gut erreichbar. Die Münchner betrachten die Seen des Voralpenlandes – den Kastensee (Gemeinde Glonn) und den Steinsee (Gemeinde Moosach) – schon seit langer Zeit als ihre „Haus-Badeseen“. Die Topografie der Moränenhügellandschaft ist eine Herausforderung für Biker und der Liebhart´s-Biergarten im benachbarten Aying wird als Ausflugsziel von Familien, Radlfahrern und Oldtimerbesitzern von April bis Oktober geschätzt. Schon vor hundert Jahren war die idyllische Gegend bei Sommerfrischlern beliebt, die damals noch die ganz klassische Form von Urlaub bevorzugten: Wandern, schwimmen, ländliche Ernährung und gute Luft (in den 50-er Jahren erhielt Glonn einmal das Prädikat „Luftkurort“). Manch naiver Sommerfrischler ist damals den übermütigen Bauernsöhnen auf den Leim gegangen und hat sich tatsächlich auf Wolperdingerjagd schicken lassen.
Das Idyll trügt – zum Zeitpunkt dieser Aufnahme floss das Wasser noch mehr als einen Meter höher und wesentlich schneller als sonst unter der Kupferbach-Brücke hindurch.
Wie es anfing
Der Name Glonn (Clana, Clane, Glohn, Gluonin, Chlana, Clanis: die Klare) ist für Sprachforscher zweifellos keltischer Herkunft. Die Lage des Marktes am Zusammenfluss mehrerer kleiner Gewässer legt diese Interpretation nahe. Übrigens gibt es auch im Dachauer Land ein „Glonn“, von dem hier allerdings nicht die Rede sein soll. In Glonn bei Indersdorf (Landkreis Dachau) gibt’s zwar auch manchmal ein kleines Hochwasser – Häuser wurden dort aber noch nie überschwemmt. Für das Ereignis vom 10. August 2002 waren mehrere Faktoren erforderlich. Neben der Wetterlage, der Heftigkeit der Regenfälle und der Vorgeschichte dieses Sommers war vor allem die Tallage des Marktes für die verheerenden Auswirkungen bei der Überschwemmung verantwortlich. Von allen Seiten floss der Regen an den tiefsten Punkt und die Sturzbäche fanden über die Pendler-freundlich ausgebauten Wege und Straßen eine schnurgerade Ideallinie hinunter ins Tal. Ungefähr so muss es auch 1940 und 1899 und bestimmt auch in den Jahren davor gewesen sein, über die aber keine Aufzeichnungen existieren. Aber: Die Überschwemmungsgebiete waren vor 1950 höchstens ein paar unbebaute Wiesen und Felder, die erst in der Boom-Zeit nach dem Krieg zu Bauland wurden. Und außerdem wurde so eine Überschwemmung früher gar nicht so tragisch genommen wie heute, wo es um große Sachwerte geht. Hagelunwetter waren vor den Kriegen sehr häufig vor und die Schäden durch die mit Hagel verbundenen Ernteausfälle trafen die Bauern und die Bevölkerung hart. Ein eventuelles Hochwasser dagegen gelangte früher kaum bewohnte Gegenden und man konnte einfach abwarten, bis es sich wieder verzogen hatte. Ein wichtiger Grund für die hohen Schäden beim Hochwasser 2002 war die Tatsache, dass es diesmal bewohnte Gebiete getroffen hat. Viele Gebiete, die zwar 1940 und 1896 auch schon unter Wasser standen. Sie gehörten damals aber noch gar nicht zur Wohnlandschaft der Wachstumsgemeinde gehörten.
Fragt man die Menschen in Glonn und drum herum, wann es losgegangen sei mit dem August-Hochwasser 2002, dann erhält man möglicherweise ganz unterschiedliche Antworten. Manche haben vielleicht gerade auf die Uhr geschaut als die schwarze Wolkenwand aufzog oder sie konnten sich an den ersten Alarm erinnern. Es war gegen 19.30 Uhr, als der Starkregen seine größte Heftigkeit entwickelte. Andere, in deren Keller das Wasser schon seit mehreren Regentagen nicht mehr richtig abgelaufen war, legten den Anfangszeitpunkt womöglich auf Ende Juli bis Mitte August. Und in der Nachbetrachtung könnte man sogar zu der Auffassung gelangen, dass es eigentlich schon 1999 mit dem Pfingsthochwasser angefangen hat, nach dem es eigentlich nie mehr so richtig bröserltrocken geworden ist. Das 1999-er-Ereignis hat aber nur wenig Schaden angerichtet – auch wenn die Feuerwehr daraus den Schluss zog, dass die Anschaffung eines Schlauchbootes dringend erforderlich sei.
Ab Anfang August 2002 waren jedenfalls in der Glonner Gegend nur ausnahmsweise Wolkenlücken am Himmel zu sehen und es regnete praktisch durchgehend. Beim Jahrhunderthochwasser am 10. und 11. August 2002 verzeichnete die Wettermessstation Glonn 127,8 Millimeter Niederschlag – durchschnittlich sind es im ganzen August normalerweise 131 Millimeter. Am 1. und am 6. August 2002 waren aber schon 49 beziehungsweise 58 Millimeter Regen heruntergekommen. Bis zum Ende des Monats summierten sich die Niederschläge auf 338 Millimeter – es soll schon Sommer gegeben haben, in denen insgesamt nicht so viel zusammenkam.
Die Feuerwehr hatte in dieser Zeit viel Routine im Auspumpen von vollgelaufenen Kellern. In der Hochwasser-Nacht waren große Teile der Marktgemeinde, vor allem im südlichen Bereich, von Wassereinbrüchen betroffen und es verschonte auch die höher gelegenen Bezirke nicht. Dort war es häufig das Oberflächenwasser, das in die Häuser eindrang und seinen Weg an den tiefsten Punkt suchte. Nahezu 400 Keller wurden zuletzt im ganzen Ort überschwemmt und die Feuerwehren aller umliegenden Gemeinden (sofern sie nicht im eigenen Ort gebraucht wurden) unterstützten die Glonner bei ihrer Sisyphusarbeit in dieser langen Nacht, als der Regen und die Alarmmeldungen gar nicht mehr aufhörten. Eine Ahnung von der Dramatik der Ereignisse erhielt Bürgermeister Martin Esterl, als er noch vor dem ersten Großalarm in Frauenreuth (606m) unterwegs war. In diesem relativ hoch gelegenen Ort war das Straßenwasser gleich zu Beginn der Regenfälle in einige Keller gelaufen und die Feuerwehr befand sich gerade vor Ort als Esterl vorbeifuhr.
Durchgehend in Alarmbereitschaft war die Feuerwehr am Hochwasserwochenende in Glonn. Mancher Einsatz dauerte von 10. bis zum 12. August und länger.
Der Bürgermeister wechselte einige, zu diesem Zeitpunkt noch recht gelassene Worte über die allgemeine Wetterlage mit den Feuerwehrleuten. Allerdings war der Bürgermeister durchaus wachsam geworden, denn gerade Frauenreuth ist eigentlich kein Dorf, in dem man mit Überschwemmungen rechnen sollte. Dass es keine normale Nacht werden würde, stellte sich aber dann schnell heraus. Kurz nach dem Ereignis in Frauenreuth trat der Kupferbach in Glonn drunten über seine Ufer, so das Esterl gerade noch bis nach Hause durchkam. Auf dem Penny-Parkplatz stand bereits ein Auto im Wasser und kam nicht mehr weiter. An der Wiesmühle schoss das der Bach mit einer nie zuvor erlebten Gewalt aus dem Auslauf.
Martin Esterl wollte sich dann erst einmal aufs Radl schwingen und in Reisenthal nach dem Rechten sehen. Weiter als bis zur Wiesmühle kam er allerdings nicht, denn die dortige Brücke – eine von 23 in der Marktgemeinde – stand bereits gut einen halben Meter unter Wasser. „Da hab´ ich Angst g´habt, dass ´s mi wegschwoabt,“ erinnert sich der Bürgermeister. Er drehte um. Immerhin dachte er mit großer Erleichterung daran, dass erst vor kurzem sämtliche Glonner Brücken saniert worden waren, die das Hochwasser auch tatsächlich alle unbeschadet überstanden haben. Die Nachbargemeinden Aying und Egmating kamen in dieser Hinsicht nicht so glimpflich davon: Zwischen Reisenthal (552m) und Münster (612m) rissen die Wassermassen ein riesiges Loch in eine Betonbrücke und bei Loibersdorf (645m) wurden die Holzaufleger gleich komplett weggespült. Nur die Lager aus Beton widerstanden den Sturzbächen. Alle Höhenangaben der Orte sind übrigens nur sehr punktuelle Werte, da das Gebiet Gebiet Egmating/Aying/Glonn auf dem nördlichsten Ausläufer einer Endmoräne aus der Würmtal-Eiszeit liegt, der geologisch sehr uneinheitlich ist. Zwischen zwei Ansiedlungen, die Luftlinie nur wenige Meter voneinander entfernt sind, können starke Höhenunterschiede herrschen. Dies gilt sogar in manchen Gemeinden zwischen dem östlichen und dem westlichen Ortsrand.
Zu Beginn der Regenfälle ahnte noch niemand das Ausmaß der Schäden dieser Nacht. Zunächst waren viele Einzelereignisse zu koordinieren und Alarme zu bewältigen. Im Feuerwehrhaus wurde schnell eine Kommandozentrale eingerichtet, wo die Meldungen und Einsätze zusammenliefen. Hier herrschte konzentrierte Betriebsamkeit, die zu keinem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten auf die Dramatik des Szenarios draußen schließen ließ. Jeder Handgriff saß, die Einsatzkräfte machten keine überflüssigen Worte und höchstens an der Menge der beteiligten Helfer war der Arbeitsaufwand abzulesen.
Seit dem 10. August 2002 haben sich viele Bürger in den betroffenenen Gebieten ihre eigenen Sandsäcke zugelegt. Damals konnte man die Hochwasser-Sperren am Marktplatz vor dem Rathaus abholen.
Zunächst waren die Feuerwehren aus Glonn und den umliegenden Gemeinden an der Schadensbeseitigung beteiligt. Gegen halb neun zeichnete sich allerdings ab, dass das Ausmaß des Ereignisses immer größere Dimensionen annehmen würde. Der Schwerpunkt konnte zu diesem Zeitpunkt bereits im Glonner Süden ausgemacht werden. Hier hatte es besonders die Siedlungen an der Wiesmühl- und Kugelfeldstraße erwischt, in denen mehrere Neubauten gerade erst bezogen worden waren oder kurz vor der Schlussabnahme standen. Weitere Alarme kamen auch von Anwohnern an Hängen, worauf sich die Helfer zunächst keinen Reim machen konnten. Am dramatischsten erschien zu diesem Zeitpunkt die Meldung, dass eine Straßenböschung bei Reinstorf abgerutscht war, so dass Glonn über diese Verbindung für die Einsatzkräfte aus anderen Orten nicht mehr erreichbar war. Bürgermeister Esterl, der zu dieser Zeit schon praktisch überall gleichzeitig war und über die Einsatzzentrale über alle Neuigkeiten informiert wurde, schickte einen Bauhofarbeiter los, der mit dem Frontlader die Straße notdürftig freischaufelte. Damit hatten die auswärtigen Hilfstrupps wieder freie Fahrt ins Tal. Privatleute, die zu dieser Zeit noch unterwegs waren, warteten mancherorts im Auto die schlimmsten Regenfälle ab und konnten später wieder weiter fahren, wenn auch mit gebremster Kraft und sehr vorsichtig, da ja auch im Tal drunten eine Zeitlang ganze Straßenzüge und Wiesen hüfthoch unter Wasser standen.
Kurz danach kam ein weiterer Anruf wegen einer Unterspülung an der Oberpframmerner Straße, die nach dem Hochwasser einen Monat lang nicht mehr befahren werden konnte. Zu etwa dieser Zeit wurde auch einer der Hänge im Mühlthal vom talwärts rauschenden Oberflächenwasser instabil. Ähnliches geschah auch noch in Haslach. Eine konzentrierte „geradezu gespenstische Ruhe“ herrschte während all dieser Nachrichten im Feuerwehrhaus, erinnert sich Bürgermeister Esterl und überhaupt kam, bei allen einzelnen Katastrophen in dieser Nacht, nirgends Panikstimmung auf. Nur einmal sah Esterl echte Unruhe im Gesicht eines Feuerwehrmannes aufsteigen: Als Kreisbrandrat Gerhard Bullinger gegen halb elf Uhr mit der Nachricht zu ihm kam, dass ein 2500-Liter-Gastank hochgespült worden war und lose auf dem Wasser trieb. Esterl: „Da sah ich dem Kreisbrandrat an, dass jetzt schnell was passieren muss, sonst gibt’s ein Drama.“ Eventuell auslaufendes Flüssiggas wäre oben auf dem Wasser geschwommen. Dann hätte ein einziger Funke gereicht, um die ganze Glonn und das Mühlthal in eine Feuerwüste zu verwandeln. In Absprache mit dem Landrat und einigen Feuerwehr-Experten wurde aus diesem Anlass zu diesem Zeitpunkt Katastrophenalarm ausgelöst. Der extreme Starkregen hielt etwa zwei Stunden, bis nach 22 Uhr an. Es regnete noch bis zum Montag weiter, aber später dann nicht mehr ganz so heftig.
Zwar hat der Glonner Bürgermeister Esterl alle Ereignisse dieser Hochwasser-Nacht direkt miterlebt. „Aber das ganze Ausmaß der Schäden wurde mir eigentlich erst am nächsten Tag bewusst,“ sagte er rückblickend. Die Anspannung dieser Stunden hat nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen Betroffenen so viel Tatkraft und Nervenstärke freiwerden lassen, dass die meisten Glonner erst am nächsten Tag oder noch später zum Nachdenken über die Geschehnisse der Nacht kamen.
Glonn und das Hochwasser
In Glonn hat es niemanden ruiniert, das August-Hochwasser 2002. Nicht so wie im Osten Deutschlands, wo die Fluten kurz danach via Elbe ankamen und ganze frisch aufgebaute Existenzen, neue Betriebe und Wohnhäuser in eine einzige schlammige Masse verwandelten. Aber es hat die Glonner geschockt, die sich ja seit der Kupferbach-Regulierung in den Jahren 1946/47 vor der Gewalt der Elemente sicher fühlten. Überhaupt war seit dem Krieg von Hochwasser ohnehin nur noch die Rede, wenn sich irgendwo die Leute über alte Zeiten unterhielten.
Dieser Anblick ist nicht neu – so sah es in der Wiesmühle nach dem Hochwasser 1940 aus.
Die Bilder, die sich 2002 dem Betrachter boten, ähnelten denen vom Hochwasser 1940, von dem es noch ein paar alte Fotos gibt. Von 1899 (Pfarrer Niedermair notiert in seiner Chronik: 1896) gibt es zwar keine Bilddokumente mehr. Es wird wohl damals schon so ähnlich ausgeschaut haben – um die Wiesmühle herum und am Kupferbach entlang. In der Niedermair-Chronik ist neben zahlreichen Hagelunwettern auch das vor-vorletzte Hochwasser verzeichnet: „Am 17. Juni 1896 schlug der Schauer in Haslach, Mattenhofen, Frauenreuth, Balkham, Kreuz und Reinsdorf; darauf folgte Hochwasser.“ Die Hagelunwetter befand Pfarrer Niedermair in seiner Chronik aber stets viel erwähnenswerter als die Hochwasser-Ereignisse, die zur damaligen Zeit überwiegend unbewohnte Gebiete trafen und deshalb lange nicht so dramatische Schäden wie heute anrichteten.
Erste Anzeichen für das Unglück gab es im Hochsommer 2002 durchaus. Dass die Wiesen bis unter die Grasnarbe mit Regenwasser durchtränkt waren und die Böden am Rande ihrer natürlichen Aufnahmekapazität standen, war sogar für einen Laien nicht zu übersehen. Etwas träger reagiert der Grundwasserpegel auf regionale und aktuelle Regenereignisse. Aber auch hier registrierte die Grundwasser-Messstelle in Haar schon seit ein paar Jahren einen ungewöhnlich hohen Stand. Das Pfingsthochwasser von 1999 hat zwar in Glonn (anders als in der Nachbargemeinde Aying) nur geringe Schäden angerichtet. Allerdings wurden zahlreiche Brücken in der Marktgemeinde dabei bis an ihre Belastungsgrenze strapaziert. Die darauf folgende Sanierung hat drei Jahre später wohl Schlimmeres verhindert. In Egmating war die Sanierung der Kupferbachbrücke zwischen Münster und Reisenthal viele Jahre lang aus finanziellen Gründen zurückgestellt worden. Das Hochwasser riss ein großes Loch in den Beton, so dass es danach keine Alternative zu einem Neubau mehr gab.
Die Glonner Feuerwehr musste bereits Anfang August 2002 nach schweren Regenfällen in zwei Nächten mehrfach ausrücken um Keller leer zu pumpen. Wie üblich waren tief gelegene Anwesen und solche ohne funktionierende Niederschlagswasserbeseitigung besonders betroffen und vor allem der Keller von Familie Hintermaier ist zwischen den einzelnen schweren Regenfällen gar nicht mehr richtig trocken geworden. Seinen ersten Bericht über Wasserschäden und
Einsätze zum Kellerauspumpen schickte FFW-Pressewart Thomas Estendorfer Anfang August an die Marktschreiber-Redaktion. Es dauerte nicht lange und bei der Gemeindezeitung ging eine aktualisierte Fassung der August-Einsätze ein, denn schon kurz darauf wurde die Feuerwehr erneut gerufen. Was dann aber vom 10. bis 12. August in Glonn passierte, war keine Notiz mehr für die Gemeindezeitung, sondern beschäftigte die ganze Münchner Presse. Die Feuerwehr Glonn erhielt Verstärkung aus drei Landkreisen, vom Technischen Hilfswerk aus ganz Bayern, der Berufsfeuerwehr München, der Bundeswehr und vielen anderen Kräften, die in diesem Katastrophenfall zwei Tage lang, manchmal 48 Stunden durchgehend ohne Pause, in der vorübergehend untergegangenen Marktgemeinde zur Stelle waren.
Schon bevor um 19.30 Uhr die ersten Sirenen heulten, hatten einige Bürger und Feuerwehrleute eine schwarze (mancherorts hieß es auch: weiße) Wolkenwand beobachtet, die sich massig und sehr langsam am Himmel entlang schob. Der Ausläufer gehörte zum Tief „Ilse“, von dem sich „Ilse 2“ abgespalten hatte und viele Tage für kräftigen Regen sorgte. Die Wolke über Glonn verharrte zwei Stunden lang nahezu unbeweglich über der Marktgemeinde und lud ihre gesamte Wasserfracht in einem sehr eng umgrenzten Gebiet ab. Weitsichtige Feuerwehr-Kollegen waren schon vor dem ersten Alarm in ihre Uniform geschlüpft, denn dass so eine düstere Regenwolke nur eine Nacht mit viel Arbeit bedeuten konnte, war den erfahrenen Leuten gleich klar. Das Ausmaß des Ereignisses zeichnete sich aber für die Einsatzkräfte erst im Laufe der nächsten Stunden ab. Und anderswo bekamen die Einwohner gar nichts mit von der Katastrophe. Manche Bürger erfuhren erst am nächsten Tag, wie schlimm es die Nachbarn im Glonner Süden getroffen hatte.
Ungefähr gleichzeitig wurde an mehreren Stellen Hochwasser-Alarm gemeldet. Zunächst ging es nur um das Auspumpen von Kellern, worin die Glonner Feuerwehr in diesem August wahrlich viel Routine hatte. Nun kam aber das Wasser nicht nur von oben, sondern auch von unten und von allen Seiten, denn während noch der Pegel des einströmenden Oberflächenwassers in den Kellern an der Kugelfeldstraße stieg und stieg, drückte von unten das ansteigende Grundwasser dagegen und auf allen Wegen und Straßen schoss der Regen gewaltig schnell ins Tal hinunter. Die Schwaigerwiese stand unter Wasser und der Sportplatz hatte sich in kürzester Zeit in ein kleines Süßwassermeer verwandelt. Gullideckel wurden von den Wassermassen, die durch die Kanalisation schossen, einfach hochgelupft und auf einem Bauernhof in Lindach drückte es eine Feuerschutztür ein.
Der Augraben hat auf seinem Weg ins Tal ein Loch in die Brücke zwischen Reisenthal und Münster gerissen.
„Der Augraben, des war a Wuidbach,“ erinnerte sich der mittlerweile verstorbene Johann Esterl aus Reinstorf, als er lange vor dem August-Hochwasser 2002 zu den Glonner Überflutungen von früher befragt wurde. Der 1904 geborene Glonner Landwirt hat seine Kindheit in Reisenthal verbracht, wo der kleine Bach quer durch den Hof verlief und zu normalen Zeiten ein wenig bedrohliches Rinnsal war. Zur Schneeschmelze im Frühling allerdings schwoll der Augraben regelmäßig zu einem beachtlichen Strom an und überschwemmte den Reisenthaler-Hof. Alle paar Jahre floss er sogar ins Haus und bis in die Küche hinein.
Johann Esterl erinnerte sich noch sehr gut daran, dass das Wasser manchmal sogar völlig eingetrocknet war oder höchstens friedlich durch den Hof plätscherte. Sobald allerdings starke Gewitter, speziell über Helfendorf niedergingen, schwoll der Augrabens plötzlich stark an und riss Schotter oder Kies mit sich. In gewaltigem Tempo schossen die Wassermassen mit dem Erdreich und den Steinen von Münster bis hinunter nach Reisenthal, wo das Gelände allmählich wieder flacher wurde. Die mitgerissenen Brocken lagerten sich dann hinter dem Reisenthaler Zuhaus ab – genau dort, wo eigentlich der Kupferbach auf seinem Weg von den Quellen bis hinein nach Glonn ein sanftes Gefälle hinunterfließen wollte. Eine Zeitlang staute sich nun das Wasser des Kupferbachs vor dem Geröll des Augrabens bis der Damm nachgab. Dann schossen der Kupferbach, der nach den Gewittern natürlich ebenfalls viel Wasser führte, und der Augraben zusammen mit gewaltiger Kraft hinein nach Glonn. Nur wenige Minuten dauerte es, bis das gut drei Kilometer von Reisenthal entfernte erste Glonner Anwesen, die Wiesmühle, erreicht war.
Die Erzählungen des alten Bauern ähnelten verblüffend dem Szenario, das sich am 10. August 2002 bot – allerdings war der Augraben zu dieser Zeit schon lange umgeleitet. Jetzt mündet dieser Bach an einer ganz anderen Stelle in den Kupferbach und 56 Jahre lang fühlten sich die Bewohner der Wiesmühle und in Reisenthal sicher vor einem Szenario wie 1899 oder 1940. Aber diese Sicherheit war trügerisch, denn auch 2002 kamen die Wassermassen von den gewaltigen
Regenfällen über Aying und Helfendorf, zusätzlich auch aus Richtung Balkham und noch einiges aus der östlichen Richtung, und alles zusammen schoss mit gewaltiger Geschwindigkeit zu Tal – in die Ortsmitte nach Glonn hinein. Neben Esterls Berichten von früheren Hochwassern gibt es übrigens noch die Schilderung der Glonner Chronistin Maria Sedlmeier, der Kranner-Tochter, die heute in Ismaning lebt. Sie schreibt in ihrer Chronik „Glonn – meine Heimat“: „Der Kupferbach war bis zur heutigen Zufahrt Waldstaße reguliert und tiefer gelegt worden. Somit kam das Hochwasser aus dem Reisenthal in noch schnellerem Fluss zum Sägewerk Wiesmühle und von da ab nahm das Unheil seinen Lauf. Ganze Stapel von Brettern, Balken und Baumstämmern wurden mitgerissen und flussabwärts getrieben.“ Maria Sedlmeiers Vater und andere Männer standen an den Engstellen der Schleifmühle Seidl und der Hammerschmide Wäsler, wo sie mit Stangen die auf dem Wasser treibenden Baumstämme an den Brückenfundamenten und Gebäuden vorbei dirigierten, damit nicht alles weggerissen wurde. Dramatische Schilderungen aus vergangenen Zeiten haben sich den alten Leute in Glonn unauslöschbar eingeprägt. Maria Sedlmeier hat es selbst erlebt, dass der Misthaufen bei der alten Gastwirtschaft zum Utz’n (heute Neubau Hotel Schwaiger) vom Wasser unterspült wurde, sich um die eigene Achse drehte, in die Gaststube hineingeschwemmt und zur hinteren Tür wieder hinausgetrieben wurde.
„A Hochwasser hod’s friara eigentlich jed’s Jahr geb´n,“ erinnerte sich auch Eduard Ege, der als Anwohner des Furtmüllerwegs von Geburt an Augenzeuge dieser immer wieder kehrenden Ereignisse war. Zwar führten der Kupferbach und der Augraben nach Angaben der alten Glonner zur Zeit der Schneeschmelze grundsätzlich mehr Wasser als heute. Auslöser für die aktuellen Überschwemmungen waren allerdings schon immer die heftigen Gewitter über Helfendorf, deren Wasser via Augraben nach Glonn kam.
In den Jahren 1946/47 wurde der Kupferbach reguliert. Glonner Bauern und Flüchtlinge arbeiteten an der Umleitung des Flüsschens, von der sich die Einheimischen ein Ausbleiben der regelmäßigen Überschwemmungen versprachen. Wenn man die Daten der letzten Hochwasser von 1899, 1940 und 2002 in zeitlichen Zusammenhang stellt, dann kommt man allerdings zu dem Ergebnis, dass die große Arbeitsleistung der Regulierung das Drama zuletzt doch nur um einige Jahre hinausgeschoben hat. Das vorletzte Hochwasser war beim letzten Hochwasser noch gar nicht so lange her, dass sich nicht doch noch der eine oder andere Alteingesessene daran erinnert hätte. Xaver Kiermaier, der „Xare“ von der Wiesmühle, ließ sich am Tag nach den Überschwemmungen von 2002 auch im Anblick seines vervielfachten Badesees nicht aus der Ruhe bringen: „1940 war’s vui schlimmer.“
Das Hochwasser von 1940 an der Hammerschmiede an der Feldkirchner Straße.
Fluch und Segen
Für Glonn hatte das Wasser immer schon große Bedeutung. Einerseits gab es einmal sieben Mühlen in der Marktgemeinde und noch heute wird an zwei Stellen mit Wasserkraft Strom erzeugt. Andererseits waren regelmäßige Überschwemmungen die Kehrseite des Wasserreichtums, der den Glonnern in früheren Jahren viele Vorteile durch den Kupferbach, den Augraben, die Glonn und den Schrankenbach brachte. Zwar wurden solche Naturereignisse früher mit wesentlich Gleichmut hingenommen als heute. Aber nach dem schweren Hochwasser 1940 ergriffen die Glonner Maßnahmen gegen die ständigen Überflutungen. Die Anlieger des Kupferbachs gründeten zunächst eigens eine Genossenschaft (was übrigens die von Johann Esterl bevorzugte juristische Form der Selbsthilfegemeinschaft war). Die Bauarbeiten für die Regulierung des Kupferbachs dauerten von August 1946 bis Oktober 1947. Auch der Augraben wurde verlegt. Er zweigt jetzt schon ein gutes Stück vor Reisenthal nach Nordosten ab und mündet in einem Waldstück in den Kupferbach. Johann Esterl hat im Rahmen dieser Baumaßnahme für den Wiesmüller acht Tage lang Kies von der Grube Mattenhofen an den Bach gefahren. Er besaß damals schon einen Traktor – andere Betroffene mussten das Baumaterial noch mit Pferdefuhrwerken heranschaffen.
Die Regulierung war ein Kraftakt, an dem viele Glonner beteiligt waren. Auch nach dem Krieg versprengte ehemalige Soldaten aus anderen Ländern packten mit an und tatsächlich hörten die Überschwemmungen danach auf. Glonn blieb mehr als ein halbes Jahrhundert lang vor derartigen Naturereignissen verschont. Nach der Kupferbachregulierung sah es so aus, als wäre die Hochwassergefahr gebannt. Ob diese Ruhe daran lag, dass seit 1947 einfach keine heftigen Gewitter mehr auf einen gesättigten Boden niedergegangen sind oder ob die Regulierung wirklich eine gewisse Entlastung gebracht hat (was die wahrscheinlichere Antwort ist), lässt sich nachträglich nicht mehr so genau feststellen. Zumindest hörten die regelmäßigen Überschwemmungen im Reisenthaler-Hof auf.
Übrigens ist aus den Überschwemmungsjahren 1940 und 1899 nicht bekannt, wie viel es dabei vorher schon geregnet hatte und wie aufnahmefähig die Böden waren. Überhaupt sind die Angaben über frühere Hochwasser eher willkürlich und verschwinden häufig im Nebulösen. Eine Quelle berichtet von einem Hochwasser 1937, anderswo wird 1940 oder 1946 genannt, was aber unwahrscheinlich ist, da in diesem Jahr ja bereits mit der Kupferbachregulierung begonnen wurde. Das starke Regenereignis von 1954 hat nach Angaben von Zeugen vor allem Grafing und Moosach getroffen, in der Erinnerung (und in manchen späteren Aufzeichnungen) wird dieses Hochwasser kurzerhand auf Glonn ausgedehnt. Die exakte Regenzeitrechnung begann in Glonn aber tatsächlich erst 2002 – von da ab allerdings ganz genau. Viele Spezialisten haben nicht nur die Niederschläge exakt gemessen, sondern auch die Landschaft unter die Lupe genommen. Auch die Veränderungen in jüngster Zeit: Von allen Bächen aus der Glonner Gegend ist nämlich nur einer, der Kupferbach, und der auch nur in einem vergleichsweise kleinen Abschnitt, in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben. Alle anderen Wasserläufe wurden im Zuge der Flurbereinigung und aus vielen anderen Anlässen begradigt oder verlegt, jedenfalls aus ihrer natürlichen, mäandernden (in Serpentinen verlaufenden) Form gerissen. Auch die Uferlandschaften sehen schon lange nicht mehr so aus wie früher. Um die Bearbeitung der Felder mit schwerem landwirtschaftlichen Gerät bis fast ganz zum Wasser hin zu erlauben, ist viel Ufergebüsch verschwunden. Auch Feldgehölze auf freier Flur existieren es kaum noch, seitdem es Maschinen gibt, mit denen tagelange Grabungsarbeiten beim Entfernen störender Büsche und Bäume in den Feldern überflüssig geworden sind. All diese natürlichen Landschaftsformen hätten eine gewisse Bremswirkung auf das ins Tal schießende Wasser gehabt, das auch noch auf komfortabel ausgebauten Straßen von allen Seiten optimale Wasserrinnen ins Tal fand. Es kamen also viele Faktoren zusammen am 10. August 2002, deren einzelne Auswirkungen erst in der viel zitierten „Hochwasserstudie“ der Büros Michael Glück, Glonn, und Michael Schober, Freising, zusammengetragen worden sind. Die Studie enthält übrigens auch mögliche Vorschläge zur Vorbeugung gegen künftige derartige Szenarien. Wie schnell, wann und ob überhaupt ein Teil davon umgesetzt werden kann, wird sich erst im Laufe der Zeit entscheiden und hängt auch von der finanziellen Situation der Marktgemeinde ab. „Auf ein Flutjahr folgt ein Glutjahr und dann ein Blutjahr,“ zitierte Bürgermeister Martin Esterl eine alte Weisheit. Auf die Regenzeit von 2002 folgten tatsächlich gleich zwei Glutjahre – 2003 und 2004, in denen die Niederschlagsmengen deutlich unter dem Durchschnitt lagen. Ungefähr zu dieser Zeit begannen auch die Blutjahre, nicht nur in Glonn, sondern überall im Land. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist ohnehin nicht mehr üppig. Und Hochwassergemeinden die Glonn, Mooach oder Aying müssen jetzt für die Vorsorge noch zusätzlich „bluten“.
Glonn unter Wasser
Zurück zum Abend des 10. August 2002. Die Glonner waren nicht darauf gefasst, ein Szenario wie das der nächsten Stunden zu erleben. Auch die weitsichtigen Feuerwehrleute, die beim Aufziehen der Wolkenwand bereits in ihre Uniform geschlüpft waren, rechneten höchstens mit noch mehr überschemmten Kellern in maximal noch extremerer Form wie sie in diesem Sommer schon oft genug aufgetreten waren. Dass sie aber in dieser Nacht noch mit dem Boot ausrücken würden um Familien aus ihren Häusern zu evakuieren, das war definitiv nicht abzusehen als der Starkregen begann.
Der Glonner Bürgermeister befand sich zwar eigentlich im Urlaub, aber daran war in den nächsten Tage gar nicht zu denken. Ganz selbstverständlich wurde Esterl zur Anlaufstelle für alle möglichen auftretenden Probleme, die alles bisher Erlebte übertrafen. Für die technische Hilfeleistung, hauptsächlich das Auspumpen der Keller, waren die mittlerweile zahlreich eingetroffenen Feuerwehren und das Technische Hilfswerk zuständig. Wenn notwendig dirigierte der Bürgermeister schon mal einen Tieflader mit Sandsäcken, sah in der Stegmühle bei dem losgerissenen Gastank nach dem Rechten und vermittelte, so weit das in der Lage möglich war, Kraft seines Amtes und vielleicht auch seiner Statur, doch immer noch ein bisschen Ruhe und Gelassenheit. So richtig mulmig wurde es ihm nach der Sache mit dem Gastank zum zweiten Mal an diesem Abend, als ein Feuerwehrmann mit der Taschenlampe in den Keller der Volksschule leuchtete, wo das Wasser bis über die Fenster stand. Es wurde zunächst empfohlen, noch nicht mit dem Auspumpen anzufangen. Möglicherweise sei ja nicht nur das Oberflächen- sondern auch das Grundwasser der Grund für die Überschwemmung. Dieses würde dann ohnehin sämtliche Anstrengungen zunichte machen, weil es von unten sofort wieder nachdrücken würde. Im Volksschul-Keller war es aber kein Grundwasser, wie sich später herausstellte und der Pegel sank im Laufe der nächsten Tage langsam ab – nicht ohne sichtbare Spuren an den Wänden hinterlassen zu haben, wie übrigens auch in vielen Häusern. In manchen Kellern wurden Öltanks undicht. Das Öl schwamm oben auf dem Wasser und setzte sich nach dem Trocknen an den Wänden ab. Hier blieb als Gegenmaßnahme später nur noch das Abschlagen und Erneuern des Putzes. Bei Kämpfs im nagelneuen Haus in der Kugelfeldstraße stand das Wasser bis im ersten Stock. Eine komplette Renovierung wurde später notwendig. Andere Bauten in der Nachbarschaft waren noch gar nicht abgenommen, als der Regen kam. Dieser Schaden ging zu Lasten des Bauträgers.
Noch am nächsten Tag konnte man kaum erkennen, wo der Bach verlief und wo die Wiesen überschwemmt waren.
Telefonisch war Glonn in dieser Nacht weitgehend abgeschnitten. Da es sich bei dem Regenereignis um ein extrem lokales Wetterphänomen handelte, waren die Menschen in den umliegenden und nicht direkt betroffenen Ortschaften völlig ahnungslos. In Grafing (521m) zum Beispiel, zehn Kilometer entfernt, regnete es zur Zeit der Glonner Überschwemmung nur einige unwesentliche Tropfen und in den westlichen Gebieten der Nachbargemeinde Aying (652m) war es auch nicht sehr dramatisch. In Egmating (621m) dagegen ging eine ähnliche Sintflut nieder, die aber wegen der Höhenlage höchstens zu vermehrter Seenbildung auf dem Golfplatz-Gelände führte und beim Schmid in der Münchner Straße wieder einmal den Keller überschwemmte. Dieses Ereignis war aber nicht weiter ungewöhnlich, zumal in einem regenreichen Sommer wie 2002.
In Glonn aber herrschte, während in Egmating noch die Sandsäcke vor das Schmid´sche Kellerfenster aufgebaut wurden, bereits hektische Betriebsamkeit: Immer mehr umliegende Feuerwehren wurden verständigt, nachdem sich abzeichnete, dass zu viele Überschwemmungen aufgetreten waren um von einem Team bewältigt zu werden. Das THW war gegen 23 Uhr alarmiert, nachdem sich der Gastank losgerissen hatte und Katastrophenalarm gemeldet wurde. Bald traf auch Landrat Gottlieb Fauth in der Marktgemeinde ein. Der Strom war schon früh zentral abgeschaltet worden, nachdem das Wasser in den tiefer gelegenen Flächen der Marktgemeinde kniehoch stand und weiter stieg, so dass die Helfer in Gummistiefeln darin herumwaten mussten. Die Handy-Netze brachen ebenfalls schnell zusammen, so dass die Glonner kommunikationstechnisch weitgehend abgeschnitten waren. Es war dunkel, nass und überall sah man binkende Blaulichter, erzählte ein Glonner, der am späteren Abend ins Tal hinunterkam. Zum Schlafen kam der Glonner Bürgermeister am frühen Morgen, zwei Stunden lang auf dem Sofa daheim. Er legte sich erst hin, als der Regen ein bisschen lichter wurde und es feststand, dass keine Menschen zu Schaden gekommen waren, worüber große Erleichterung herrschte. Ein Überblick über die größten Ereignisse war dann ohnehin erst viel später möglich. Am Sonntag musste dann erst einmal die Flut der Fernsehteams aus ganz Bayern bewältigt werden, denen Martin Esterl und Kreisbrandrat Gerhard Bullinger noch fast unermüdlicher Auskunft geben mussten wie sie zuvor die Rettungsteams koordiniert hatten.
Mein Sohn Martin, damals neun Jahre alt, war an diesem Wochenende zu seiner Glonner Oma in die Zinneberger Straße gefahren und hatte sich sich zur fraglichen Zeit bereits erwartungsvoll auf dem Sofa postiert, in der festen Absicht, mindestens die halbe Nacht vor dem Fernseher zu verbringen. Seine Freude währte allerdings nicht lange: Als der Strom abgeschaltet wurde, war die Mattscheibe schwarz und daran änderte sich die nächsten Stunden nichts mehr. Die Zinneberger Straße gehört zu den höher gelegenden Gegenden im Osten Glonns. Es floss hier zwar auch viel Wasser den Berg hinunter, aber so dramatisch wie anderswo war es nicht. Immerhin stand bald auch gegenüber beim BMW Maier das Wasser im Hof und die Feuerwehr war zur Stelle, um den vollgelaufenen Keller auszupumpen. Dieses Schauspiel bildete aus Martins Sicht dann doch einen halbwegs akzeptablen Ersatz für den entgangenen Fernsehgenuss. Was allerdings gleichzeitig in dieser Nacht in Glonn sonst noch alles los war, das erfuhren die Großeltern und ihr Enkel erst am nächsten Tag. Zwar hatten sich die Nachbarn angesichts des Feuerwehreinsatzes und des Wassers, das vom Zinneberger Berg herunter beim Maier in den Keller lief, über die Gewalt des Naturereignisses ausgetauscht. Aber da keine Nachrichten über Telefon oder Handy hin- und hergingen, blieb jeder Hausbesitzer – außer in den großflächig überschwemmten Gegenden – mit seiner privaten Katastrophe weitgehend für sich. Erst im Anblick des Sperrmüllmobiliars wurde die Dimension des Ereignisses klar: „Ich bin dann am nächsten Tag mit der Oma nach Glonn reingegangen und auf dem Gehsteig sind überall kaputte Waschmaschinen und Gefriertruhen rumg’standen,“ erinnert sich Martin an seine Hochwasser-Eindrücke.
Unwettergeschichten
„Des schreibst fei jetz ned auf,“ sagte Angelika Kronthaler, nachdem wir beim Einkaufen wieder einmal ins Ratschen gekommen waren und sie mir ihre persönliche Hochwasser-Geschichte erzählt hatte. „Bei andere war’s vui schlimmer.“ Aber nicht jeder kann halt so anschaulich erzählen wie die Glonner Metzgerin. Und als Lieferanten zahlreicher spontaner Hochwasser-Brotzeiten waren die Kronthalers an diesem Wochenende auf jeden Fall Personen des gesteigerten öffentlichen Interesses. Bei den Kronthalers ist das mit dem Hochwasser ja eigentlich auch schon viel früher losgegangen, am Dienstag vorher und dann am Donnerstag, als zwei Häuser weiter auch beim Hintermaier wieder einmal der Keller übergegangen ist. Bei Familie Hintermaier war die Feuerwehr im Sommer 2002 sowieso Stammgast und Katastrophenstimmung herrschte da eigentlich schon seit Juli, wobei die allmähliche Gewöhnung an das Wasser mit der Zeit zu einer gewissen Abstumpfung geführt hat. „Da samma no dabei g’stand’n,“ erinnerte sich Angelika Kronthaler, „und ham uns denkt: So a Glück, dass uns des ned passier’n ko.“
Am Samstagabend, da befand sie eigentlich schon im Sommerurlaub, fuhr sie mit einer Freundin und drei Kindern nach Aying zum Kaffeetrinken, wobei es die ganze Zeit beachtlich geschüttet hat. Als die Ausflügler dann doch allmählich das Gefühl hatten, daheim nach dem Rechten schauen zu müssen, kamen sie auf der Rückfahrt gerade in die schlimmste Regenzeit. Die Fahrerin Christine sah das vonstatten gehende Naturerlebnis nicht ganz so entspannt wie die Beifahrerin Angelika, die eigentlich nur noch staunte inmitten des prasselnden Regens. Richtig ratlos wurden alle dann aber auf Höhe von Kastenseeon – denn hier meldeten die drei Kinder plötzlich ein dringendes Bedürfnis an, was aber inmitten der Wassermassen von oben, unten und von der Seite nicht richtig einfach zu bewerkstelligen war. Außerdem ging es auf Höhe vom Kastensee, der dann auch noch über die Ufer trat, eine Zeitlang sowieso weder vorwärts noch rückwärts weiter.
Nachdem die Ausflügler eine angemessene Zeit im Auto gewartet hatten und die Straße wieder halbwegs befahrbar wirkte, ging es – wenn auch nicht richtig problemlos – weiter hinunter nach Glonn. Unterhalb von Kreuz, wo mittlerweile der Hang abgerutscht war. lag die Erde lag auf der Straße und machte das Passieren unmöglich. Die hier positionierte Polizei empfahl einen Umweg, der nicht der letzte auf dieser Hindernisfahrt ins Tal war. Schließlich mussten die Ausflügler auch noch den unter Wasser stehenden Marktplatz umfahren. Es war jetzt ungefähr 21 Uhr und überall standen die Leute, die Helfer und alle, die sich sonst noch auf die Straße getraut hatten, bis über die Knie ins meistens schlammige Wasser. Als Angelika Kronthaler mit den Mädchen endlich daheim angelangt waren, wurden sie vom Gatten Franz, der seit zwei Stunden das Wasser aus den Ergeschossräumen schrubbte, in seiner herb-wortkargen Art empfangen: „Bist aa scho do?“. Nun war es bei Kronthalers halt auch passiert und von da an waren sie dann schon zu zweit beim Schrubben. Recht viel mehr Helfer waren nicht zu erwarten, denn alle Nachbarn waren selbst damit beschäftigt, das Wasser aus ihren Erdgeschossräumen zu schrubben oder noch schlimmere Auswirkungen des großen Regens zu bekämpfen. Manche Glonner waren in Urlaub Wochenende und wurden erst verspätet mit dem Drama konfrontiert. Bei Gröbmayrs von gegenüber waren nur die fast schon erwachsenen Kinder daheim, die mit dem vergleichsweise milden Wassereinbruch im Keller selbst zurechtkamen. Igendwann klingelte dann das Telefon in der Metzgerei Kronthaler, ein sehr altes Modell, mit dem man eigentlich gar nicht telefonieren kann. Aber man kann angerufen werden und die Kronthalers waren in dieser Nacht ungefähr die einzigen Glonner, die angerufen werden konnten. Das war auch nötig, denn viele Brotzeiten waren noch erforderlich in dieser Katastrophen-Nacht. Diesmal bestellte die Feuerwehr eine Stärkung, die natürlich sofort zubereitet wurde, dann aber auch wieder erst unter höchst ungewöhnlichen Umständen zu ihren Empfängern gelangte. Das Kronthaler´sche Auto war nämlich mittlerweile hinter dem elektronischen Garagentor in Zeiten des Stromausfalls unerreichbar versperrt. Der Huberwirts-Hansi war es schließlich, der die Brotzeit gegen 22 Uhr zu den Helfern brachte, die sich allmählich an den Gedanken gewöhnten, dass dieser Einsatz länger dauern würde als jeder zuvor.
In der Hochwasser-Nacht lag die Erde des unterspülten Hanges bei Reinstorf auf der Straße und machte den Weg unpassierbar.
An der Polizeiabsperrung bei Kreuz stand zur schlimmsten Regenzeit übrigens auch Familie Ludwig aus der Wolfgang-Koller-Straße. Monika Ludwig ahnte noch gar nichts davon, dass dieser aktuelle Wolkenbruch kein lokales Ereignis über Kreuz war, sondern auch Glonn, Moosach, Aying und diverse Orte im Umfeld komplett unter Wasser setzen würde. Peter Ludwig stieg optimistisch aus dem Auto und joggte hinunter ins Tal, wo schon überall Aufräumarbeiten begonnen hatten. Bei den Ludwigs daheim in der Zinneberger Siedlung stand auch ein bisschen Wasser im Keller und nachdem der Hausherr versucht hatte, die Feuerwehr zu alarmieren, wurde ihm mitgeteilt, dass „d´Feierwehr heit ned kummt wega a paar Zandimeta.“ Das war einsichtig angesichts der Zustände in den schwer getroffenen Gebieten und Peter Ludwig ist ja auch nicht umsonst ein Ingenieur, der sich zu helfen weiß. Angesichts früherer schlechter Erfahrungen hatte er sich bereits eine eigene Pumpanlage aus einer Tonne mit einem Schlauch konstruiert und tatsächlich kam auch gegen Mitternacht noch einmal kurz der Strom, was gereicht hat, um zumindest im Hause Ludwig die schlimmsten Hochwasserschäden zu beseitigen. Wie schwer es andere getroffen hatte, das stellten auch die Ludwigs erst am nächsten Tag fest.
Von der anderen Seite, aus Richtung Grafing, näherte sich ungefähr zu diesem Zeitpunkt das Ehepaar Obertanner, das zunächst noch vage Informationen erhalten hatte über die Sintflut, die in Glonn gerade niederging. Man tat diese Nachrichten als Übertreibungen ab, denn in Grafing war nichts zu sehen von sintflutartigen Regenfällen. Erst auf der Fahrt nach Glonn und angesichts der massiven Wolkenwand über dem Tal erinnerte sich Hans Obertanner wieder an sein Fotoarchiv im Keller. Mit der ihm eigenen Gelassenheit dachte er sich dann aber: `Macht nix, dann schmeiß ich halt gleich alles weg und brauch´ gar nicht mehr aufräumen.´ Daraus wurde allerdings nichts, denn sein Haus am Klosterweg ist offenbar solider gebaut als andere in der Nachbarschaft. Der Obertanner´sche Keller blieb die ganze Nacht bröserltrocken und aufgeräumt ist da wahrscheinlich bis heute noch nicht.
Der Tag danach
Sechs Kilometer entfernt und rund 100 Meter höher verbrachten die Bürger in Egmating eine zwar regnerische Nacht, in der aber nichts Schlimmeres passierte als dass einige Grillabende ins Wasser fielen. Aber daran war man in diesem August ja gewöhnt. Ich erhielt erst am Sonntagmorgen eine Ahnung von dem dramatischen Szenen, die sich in der Nacht zuvor ereignet hatten. Im Radio wurde gemeldet: „Die Ortsdurchfahrt von Glonn, Landkreis Ebersberg, ist wegen Hochwasser gesperrt.“ Für mich gab’s nach dieser Meldung natürlich kein Zögern: Ich packte meine Kamera und einen Block, setzte mich ins Auto und fuhr Richtung Glonn. Der Golfplatz hinter Egmating war schon seit längerem eine einzige Seenlandschaft. Der bekannte Anblick hatte sich jetzt höchstens ein wenig verstärkt: Die einzelnen Seen flossen nun in ein einziges, großes Golfplatz-Meer zusammen. Im Egmatinger Forst deutete nur wenig auf die Ereignisse der vergangenen Nacht hin. Es roch nach Erde und Regen, aber so richtig beunruhigend sah es hier noch nicht aus.
Der Pegel am Kastensee stand ja seit Wochen konstant knapp unterm Uferrand oder auch mal darüber. Den ganzen Sommer 2002 über mussten die Pächter des Strandcafés den Keller der Wirtschaft auspumpen, ständig lief Wasser auf die Straße und man musste hier ohnehin stets mit Aquaplaning-Gefahr rechnen. Manchmal hatte der nicht versiegende Strom aus dem Pumpschlauch zu Gerüchten geführt, dass der Kastensee „übergegangen“ sei, was aber bis zu dieser denkwürdigen Nacht höchstens ein bisschen stimmte. Vorher war es tatsächlich nur das Wasser aus dem Keller des Strand-Cafés, das da ausgepumpt wurde und auf der Straße einen Nebensee bildete. Zwar verfügt der Kastensee weder über einen sichtbaren Zu- noch Abfluss. Wie das Hochwasser dann zeigte, ist aber auch im Falle eines extremen Regenereignisses vom Kastensee kaum Schlimmeres zu befürchten als eine mzusätzliche, kräftige Überschwemmung. Und die gab es in diesem Monat sowieso überall. Nach der Hochwasser-Nacht lagen dann sämtliche Liegeflächen, das kleine Wachhhäuschen und auch die Biergartenstühle auf der Terrasse am Kastensee tief im Wasser. Aber auch diese Bilder kannte man überwiegend schon von vorher. Nach dem Ereignis blieb der Kastensee (wie übrigens auch der Steinsee und die Wiesmühle) für den Badebetrieb für den Rest des Sommers gesperrt.
An den hohen Pegelstand am Kastensee hatte man sich 2002 schon gewöhnt. Aber die totale Überflutung der Liegeflächen war doch neu.
Einige Bürger aus Kastenseeon hatten den Golfplatz Egmating übrigens schon länger als Verursacher für die ständigen Überschwemmungen seit Anfang der 90-er Jahre im Verdacht. Allerdings handelte es sich hier wohl nur um ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, denn zwischen dem tiefsten Punkt des Golfpatzes und dem Kastensee befindet sich noch eine Erhöhung zwischen Kastenseeon und Egmating, der Taferlberg (618m). Deshalb ist ein Fluss des Oberflächenwassers von West nach Ost kaum vorstellbar und sollten tatsächlich unterirdische Verbindungen vorhanden sein, dann hätte es diese ja auch vor dem Bau des Golfplatzes schon gegeben.
Auf dem Weg von Egmating (Am Ried 636m) über Kastenseeon (612m) nach Glonn (535m) Egmating nach Glonn durchquerte ich also an mehreren Stellen beträchtliche Überschwemmungen auf der Straße. Wenn man das Lenkrad ganz festhielt und langsam fuhr, kam man aber schon durch (mit einem neueren Auto wäre ich wohl etwas vorsichtiger gewesen, aber um meinen damaligen alten Kombi hatte ich keine großen Ängste). An die überschwemmten Felder östlich des Kastensees hatte man sich in diesem Sommer auch schon gewöhnt. Der Bauer, der diese Wiesen bewirtschaftete, war auf einen totalen Ausfall der Ernte schon länger gefasst. Am 11. August hatte sich die Wassermenge hier ebenfalls beträchtlich ausgedehnt und überhaupt stand das Wasser zwischen Kastenseeon und Glonn auf fast allen Felder und Wiesen so weit das Auge reichte. Am Tag danach war nicht mehr zu unterscheiden, welches Wasser jetzt vom Regen stammte, welches vom übergegangenen Kastensee und ob womöglich auch noch Grundwasser mit im Spiel war (Letzteres aber bestimmt nur in den ganz tiefen Regionen in Glonn).
Mit welcher Gewalt das am Vormittag des Sonntags schon wieder ruhig und sumpfig auf den Feldern dümpelnde Wasser in der Nacht vorher zu Tal geschossen war, zeigte sich an der Straßenböschung bei Reinstorf: Dort waren die ganze Grasnabe und das Erdreich weggerissen. Der abgeschwemmte Humus lag noch an mehreren Stellen feucht und klumpig auf der Straße. Auf einer Länge von rund 50 Metern fuhr ich an einer durchweichten, aufgerissenen Lehmböschung vorbei. Nach dem Passieren weiterer Seen links und rechts wurde ich auf Höhe der Abzweigung nach Ursprung von der Polizei gestoppt. Zuerst hieß es, die Durchfahrt Glonn sei wegen der Überschwemmungen gesperrt. Nach einigem Hin und Her ließen sie mich dann doch passieren mit dem etwas resignierten Seufzer: „Sind ja eh schon alle unten.“ Sie meinten offenbar meine Kollegen von der Münchner Presse, zu denen in einem späteren Kapitel noch etwas zu sagen sein wird.
Ich fuhr an der Straße am Hochfeld vorbei ins Mühlthal hinunter, sehr langsam, denn ich wusste ja nicht, wann sich die Fluten über mich ergießen würden. Von Fluten war allerdings, abgesehen von den unvermeidlich überschwemmten Wiesen überall, weniger zu sehen als erwartet. Auch im Mühlthal standen die Straßen an einigen Stellen unter Wasser und es war gut zu erkennen, dass der Pegel noch vor wenigen Stunden viel höher gelegen haben musste. Später sagte ein betroffener Glonner Bürger bei einer Nachbetrachtung über diesen Tag: „Das Wasser ist schnell gekommen und genauso schnell wieder gegangen.“
Im Tal herrschte stille Betriebsamkeit. Jeder war mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Ich staunte über die Mengen an Eimern, Schrubbern und Schaufeln, die allein im Mühlthal von den einzelnen Helfern bewegt wurden. Der Erste, mit dem ich sprach, war Sven Friedel, der eigentlich im Klosterweg wohnt, wo seine Familie in einem höher gelegenen Stockwerk aber verschont geblieben war. Jetzt schaufelte er in einer Wohnung in der Stegmühle die hineingeschwemmte Erde vom Boden, legte Möbelstücke frei und fand zwischendurch auch noch Zeit, die verstörte Mieterin zu trösten, die in der vorigen Nacht mit ihren Kindern beobachtet hatte, wie der Wasserpegel vor den Fenstern immer höher stieg und seither keine Sekunde geschlafen hatte. Außerdem erfuhr ich im Mühlthal ganz nebenbei von dem Gastank, der aus der Verankerung gerissen worden war und frei auf dem Wasser getrieben hatte. Mittlerweile war der Tank von den zahlreichen Helfern längst wieder befestigt. Er war aber der Grund dafür, dass in Glonn Katastrophenalarm ausgelöst wurde, was wiederum später den Fluss der Zuschüsse erleichterte.
Der Chef des Stegmühl-Wasserkraftwerks, Josef Rieder hatte die Stromeinspeisung ins Netz der E.ON zu Beginn der Regenfälle natürlich schnell abstellen müssen und wahrscheinlich hätte die historische Turbine bei diesem Durchfluss auch bald ihren Geist aufgegeben. Ein Blick in die Räume des alten Wasserkraftwerkes reichte, um festzustellen, dass die Natur ganze Arbeit geleistet hatte: Die schwarz-weißen Bodenfliesen waren unterm Schlamm kaum noch zu sehen, Wasser und Erde bedeckten den Boden des Maschinenraums und Josef Rieder fragte sich kopfschüttelnd, ob die historische Stegmühle überhaupt noch zu retten sei (heute sind alle Schäden längst beseitigt und die alte Turbine läuft wieder einwandfrei).
In der Stegmühle wurde noch tagelang eifrig geschrubbt, um Schaden von der historischen Stromerzeugungsanlage abzuhalten. Die alte Turbine hat das Hochwasser schließlich überstanden.
Auf meinem Weg ins Glonner Zentrum machte ich an vielen Stellen Halt, an denen Menschen mit Schaufel, Besen und bloßen Händen im triefenden Dreck wühlten. Alle legten eine kurze Pause ein, um mir ihr persönliches Szenario dieser Nacht schildern zu lassen. Am Brückerl zur Waldstraße floss – nein, er schoss – der Kupferbach bis knapp unter dem Betonaufleger und ich tauschte mich mit Josef Wacht über die dramatischsten Szenen der vergangenen Nacht aus, darunter einen Rettungseinsatz der Feuerwehr mit dem Boot auf der Schwaigerwiese, wo Familie Paetzmann aus der überschwemmten Wohnung evakuiert wurde. Den ganzen Sonntag lang regnete es übrigens noch vor sich hin. Zwar nicht mehr in der Ergiebigkeit wie noch vor zwölf Stunden, aber doch so, dass es keine rechte Freude war, durch die überall verbreiteten schlammigen Hinterlassenschaften des Hochwassers zu waten.
Am Marktplatz traf ich kurz auf Bürgermeister Martin Esterl, der auf der einen Seite aufgelöste Bürger zu beruhigen versuchte, nach der anderen Seite Anweisungen ans Technische Hilfswerk gab und ganz nebenbei mit Kommunalpolitikern aus dem Landkreis per Handy kommunizierte. Ein Filmteam eines Privatkanals fuhr vorbei und erkundigte sich bei mir, wo denn jetzt hier die Überschwemmung sei, der Glonner Marktplatz stehe ja doch ersichtlich nicht unter Wasser, wie ihnen gemeldet worden sei. Ich schickte sie in Richtung Reisenthal zum Kupferbach, da konnten sie an der Brücke auch am Sonntag noch die geballte Kraft des Wassers filmen. Lieber als ein zum Wildbach gewandeltes ländliches Flüsschen hätten sie aber natürlich dahin treibende tote Kühe und eingestürzte Häuser gesehen, so wie nach einem richtig tropischen Monsun. Aber so schlimm war es in Glonn dann doch nicht und überhaupt machte den Einwohnern im Laufe des Sonntags die Flut der Kamerateams fast ebenso zu schaffen wie das Wasser.
Der von Spezialisten gesicherte Hang am Mühlthal erinnerte noch lange an die Schäden des Hochwassers.
Tausend Helfer
Irgendjemand muss die freiwilligen Helfer gezählt haben, die im Dienst von Feuerwehr, BRK, Bundeswehr, Technischem Hilfswerk und allen anderen ehrenamtlichen oder professionellen Organisationen in Glonn am Werk waren, um nach der Regennacht Aufräumarbeit zu leisten: 929 stand am Montag danach in einer Zeitung. Diese Zahl stimmt natürlich überhaupt nicht, denn in Glonn waren außer den professionellen, offiziellen und ehrenamtlichen Hilfstrupps zusätzlich noch unzählige Nachbarn, Freunde und Verwandte ebenso unermüdlich damit beschäftigt, bei den Geschädigten aufzuräumen. Kreisbrandrat Gerhard Bullinger selbst kam übrigens erst am nächsten Tag dazu, bei sich daheim nach dem Rechten zu schauen.
Der unterspülte Hang im Mühlthal wurde erst einen Monat nach dem Hochwasser wieder für den Verkehr freigegeben.
Im Feuerwehrhaus war auch am Tag nach dem Hochwasser noch eine vorübergehende Kommandozentrale eingerichtet, in der die Arbeiten und Einsätze koordiniert wurden. Ein unbeteiligter Zuschauer wagte sich da kaum bemerkbar zu machen, so konzentriert, reibungslos und leise lief die Arbeit. Bürgermeister Esterl lobte bei zahlreichen Ehrungen und anderen Gelegenheiten rückblickend die Organisation und bedingungslose Einsatzbereitschaft der Ehrenamtlichen.
In der Kommandozentrale wurden aber nicht nur die akuten Einsätze der einzelnen Hilfstrupps koordiniert. Hier liefen auch am Sonntag noch neue Hiobsbotschaften ein, wie etwa die Nachricht, dass der Hang im Mühlthal noch immer nicht stabilisert sei. Ohne Zögern wurde ein sachverständiger Trupp der Bundeswehr alarmiert. Die Spezialmannschaft breitete eine Plastikplane auf dem durchweichten Gelände aus, womit das Schlimmste verhindert wurde. Übrigens war dieser Einsatz offenbar ein Erstfall, denn Monate später meldete sich der verantwortliche Einsatzleiter und fragte wegen Bildern bei mir an. Insgesamt gibt es von der Glonner Hochwasser-Nacht selbst nur ganz wenige Bilder. „Da hat keiner Zeit g´habt zum Fotografieren,“ sagte Bürgermeister Esterl.
Als sich die Lage sich am Sonntagnachmittag allmählich zu entspannen begann, erhielten manche Einsatzkräfte auch mal einen Auftrag in einem günstigen Umfeld. In der Wiesmühl-Wirtschaft zum Beispiel konnten die Glonner Feuerwehrleute eine kurze Pause einlegen und wurden von den Hausleuten trotz allem Stress liebevoll bewirtet. Während der Sepp in Gummistiefeln bis über die Knie immer wieder in den überschwemmten Keller watete um die Saugleistung der Pumpe zu kontrollieren, vergewisserte sich der Xare, dass das überschwemmte Schwimmbad keinen weiteren Schaden genommen hatte. Der Handlungsspielraum für die Schwimmbad-Betreiber war allerdings gering, denn vor dem Haus erstreckte sich nicht das bekannte, malerische Naturschwimmbad in seiner gemauerten Fassung, sondern ein scheinbar endloser See, der nahtlos in die Überschwemmungen im Kupferbachtal überging. Ein ganz ähnlicher Anblick ist übrigens auf einigen alten Fotos vom Hochwasser 1940 dokumentiert.
In der Gaststube der Wiesmühle saßen ein paar Glonner Feuerwehrler und stärkten sich nach dieser harten Nacht mit einer wohlverdienten Brotzeit. Jeder wusste eine Geschichte oder ein paar Szenen von der letzten Nacht. Und trotz des Szenarios, das einen doch eher an ein Jahrtausend- als ein Jahrhunderthochwasser denken ließ, war am Nachmittag, als der Regen langsam dünner wurde, schon wieder Zeit für ein bisschen Galgenhumor. Alle Helfer und die Betroffenen hatten eine arbeitsreiche Nacht hinter, einen weiteren anstrengenden Tag vor sich und und das im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass noch längst nicht alle Arbeit getan war. In der Wiesmühle und fast überall sonst habe ich aber trotzdem nie Wort der Klage oder des Jammerns gehört. Zum Bilanz-Ziehen kamen die Hochwasseropfer erst viel später.
Viel Mobiliar aus den Häusern in der Kupferbachsiedlung war unbrauchbar geworden.
Zur gleichen Zeit waren weiter in Richtung Ortsmitte allmählich alle überschwemmten Keller ausgeräumt. Noch immer pumpte die Feuerwehr das Regenwasser aus, während an manchen Stellen das Grundwasser von unten schon wieder nachdrückte. Die Besitzer der teils gerade erst fertig gewordenen Neubauten schafften ihre überschwemmten Möbel, Waschmaschinen und Gefriertruhen aus den Kellern auf den Gehsteig. Die Kugelfeldstraße glich einem einzigen Sperrmülldepot. Auch in der Wiesmühlstraße und im Klosterweg waren viele Häuser überschwemmt. In der Woche darauf übernahm die Gemeinde kostenlos die Abfuhr der unbrauchbar gewordenen Einrichtungsgegenstände, die häufig noch nagelneu waren. Der Landkreis hat bei der Entsorgung auf die Deponiekosten verzichtet. Übrigens sollen angeblich einige Bürger von der kostenlosen Sperrmüllsammlung Gebrauch gemacht haben, die gar nicht vom Hochwasser betroffen waren. Aber solche Kleinigkeiten wurden in der Woche nach dem Unglück stillschweigend übersehen.
Noch schlimmer als die Verluste beim Mobiliar waren die Unstetigkeiten der Hänge, die sich wenige Stunden nach den Überschwemmungen manifestierten. In Haslach und im Mühlthal drohten ganze Wiesen abzurutschen, die Häuser mitzureißen oder unter sich zu begraben. Das eigens alarmierte Expertenteam der Bundeswehr untersuchte den Boden an den gefährdeten Stellen und stellte fest, dass die Grasnarbe tatsächlich stark unterspült worden war. Es bestand akute Abrutschgefahr für komplette Wiesen. Mit großflächigen Planen wurden die Hänge gesichert. Das Bild der „eingepackten“ Hangwiesen erinnerte noch Wochen nach dem Hochwasser an die bedrohlichen Stunden. Schließlich half sich die Natur aber doch selbst. Nachdem die Regenfälle aufgehört hatten verwuchs die Grasnarbe mit dem Untergrund und nirgends wurde ein Haus weggerissen. Andere Hänge waren allerdings schon in der Nacht zum Sonntag nicht mehr zu retten. Der Schaden an der Oberpframmerner Straße erinnerte noch einige Zeit an diese Nacht. Das Erdreich hatte sich an einem steilen Hang im Quellgebiet der Glonn gelöst. Die Straße hing an einer Stelle frei in der Luft und die darunter liegenden Stromleitungen waren zu sehen. Die Sanierung dieses Straßenabschnittes war auch eine der ersten Baumaßnahmen, die nach dem Hochwasser in Angriff genommen wurden – auf Kosten des Landkreises übrigens. Der Verkehr floss bis zur Wiederherstellung dieses Abschnitts über Egmating, wo die Sanierung des Abrutsches an dem Hang bei Reinstorf nicht so dringend für die Verkehrssicherheit war. Im September wurde die Strecke nach Oberpframmern wieder freigegeben.
Noch ein Erdrutsch: Die Böschung an der Straße nach Oberpframmern oberhalb von Ursprung war ebenfalls unterspült worden.
Insgesamt sahen die Glonner und ihre Gäste, nachdem die offizielle Totalsperrung der Marktgemeinde aufgehoben war, auf den Straßen in diesen Tagen überdurchschnittlich viele Feuerwehrautos und Traktoren, die bei der Beseitigung der Schäden gebraucht wurden. Viele Privatleute, vor allem Landwirte mit ihren Maschinen halfen mit. An der Finanzierung der Schadensbeseitigung waren Gemeinde und Landkreis beteiligt. Rund 90 Prozent der gemeldeten Schäden bei Privatleuten wurden in den nächsten Wochen ersetzt. Die Geschädigten erhielten schnelle und unbürokratische Aufbauhilfe. Bereits nach acht Tagen standen die ersten Gelder vom Bund zur Auszahlung zur Verfügung. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährte den Betroffenen günstige Kredite. Es gab Einmalzahlungen für besonders stark Betroffene und viele Spenden aus nah und fern gingen im Laufe der nächsten Wochen bei Bürgermeister Martin Esterl im Rathaus ein. Bei der gerechten und zügigen Verteilung war auch die Nachbarschaftshilfe behilflich. Die von einigen spontanen auswärtigen Helfern nach Glonn transportierten Decken und Küchengeschirre für eventuelle Übernachtungsgelegenheiten unter Brücken waren zum Glück nicht notwendig. Wenn es auch in dieser Nacht auch manchen Bürgern in Glonn ziemlich nass ´neiganga ist – ein trockenes Schlafplätzchen fanden doch alle. Obwohl mancherorts die wirkliche Nachtruhe erst viel später wieder einkehrte.
Der Schulkeller
Bürgermeister Martin Esterl hat viele dramatische Szenen erlebt, als er während dieser Regennacht die Runde in der Marktgemeinde machte. Persönlich hat ihn aber am meisten erschreckt als er sah, wie sich das Wasser von den überschwemmten Wiesen ringsherum zielstrebig seinen Weg an den tiefsten Punkt weit und breit suchte: in den Keller der Volksschule. Im Nachhinein betrachtet hat der alte Keller von dem letztlichen Totalschaden durch das Hochwasser allerdings sichtlich profitiert. Nach einer gründlichen Renovierung wurde er zum Schmuckstück des Schulhauses und Rektor Karl-Alexander Groitl sprach bei der Wieder-Einweihung eine wahre, wenn auch undiplomatische Erkenntnis gelassen aus, nämlich dass dem Rest der baulich nicht mehr ganz taufrischen Glonner Volksschule ein Hochwasser auch mal ganz gut tun würde. Das alles wusste Esterl ja noch nicht, als er seinen Rundgang unter den zahlreichen Einzel-Katastrophen in Glonn machte und ihm klar wurde, dass zumindest die Schäden in der Schule vollständig auf Kosten der Gemeindekasse gehen würden.
Fast mannshoch stand das Wasser nach dem Ende der Regenfälle zuletzt im Schulkeller und auch im nagelneuen Computerraum, auf dessen Inbetriebnahme sich Lehrer und Schüler schon so gefreut hatten, nachdem er noch kurz vor den Sommerferien fertiggestellt worden war. Das Wasser verzog sich aus dem Schulkeller als der Regen aufgehört hatte – genauso allmählich wie auch rundum in der überschwemmten Marktgemeinde. Von der dramatischen Nacht kündeten nach einigen Tagen nur noch die Schlammspuren in Augenhöhe an den Wänden. Die Computer standen zum Glück hoch genug auf den neuen Computertischen und das Wasser blieb knapp drunter. Diese Geräte waren eigentlich die einzige Einrichtung im Untergeschoss, die unversehrt geblieben war. In der Woche nach dem 10. August waren die Glonner zunächst vollauf mit ihren eigenen Aufräumarbeiten beschäftigt. Aber schon zwei Wochen danach rollte eine Welle der Hilfsbereitschaft los, bei der auch für gemeinschaftliche Schäden die Ärmel hochgekrempelt wurden. Dem Aufruf des Bürgermeisters in den Tageszeitungen, dass im Schulkeller gut eine Woche nach dem Hochwasser eine konzertierte Schadensbeseitigung stattfinden würde, folgten gut 60 Freiwillige aus der Marktgemeinde und darüber hinaus. Ein Landwirt kam gleich mit seiner Schubraupe zum genannten Treffpunkt und häufte die unbrauchbar gewordene Einrichtung auf dem Schulhof zusammen. Darin hatte er nach diesen Tagen ja viel Übung. So manche Lehrer, Schüler, Mütter, Väter und auch völlig Unbeteiligte aus anderen Gemeinden krempelten die Ärmel hoch und halfen zu retten, was im Schulkeller noch zu retten war. Allzu viel war das nicht.
Das freiwillige Räumkommando leistete zwei Wochen nach der Überschwemmung des Schulkellers ganze Arbeit: Zumindest für Aufräumarbeiten musste die Gemeinde hier kein Geld mehr ausgeben.
Sven Friedel, auch hier wie gewohnt nach der Verdauung des ersten Schocks beherzt zupackend, diagnostizierte nach einem Blick auf die Fliesen: „Der Boden muss raus.“ Die anfängliche Ratlosigkeit der Helfer angesichts der Verwüstung verwandelte sich in eifrige Betriebsamkeit. Schließlich hackten und pickelten die Freiwilligen aus Leibeskräften, bis das Untergeschoss eher dem Bild nach einem Erdbeben ähnelte als nach einem Hochwasser. Im Laufe der nächsten Zeit, als es um die Wiederherstellung ging, kam dann eine schlechte Nachricht zur anderen: Die Wände waren mit einer abwaschbaren Farbe bedeckt, hinter der die Feuchtigkeit kaum austrocknen konnte. Die Fenster waren alt und nicht mehr dicht, so dass schnell der Gedanke an eine Totalrenovierung nahe lag. Ähnliches galt für die Küche, in der das schlammige Wasser in den Suppenschüsseln gestanden hatte, das Klassenzimmer und den Werkraum. Es stellte sich heraus, da man ja nun schon einmal am Renovieren der nicht mehr ganz zeitgemäßen Räumlichkeiten war, dass eine weitgehende Neugestaltung die weitaus bessere Lösung wäre. Ein Jahr später verfügte die Glonner Schule wieder über einen praktisch nagelneuen Schulkeller mit modern und schulgemäß ausgestatteten Räumlichkeiten. Dieser Entwicklung kam auch die Zuschussgewährung des Freistaates Bayern entgegen, die einen gehörigen Anteil der Schadensbeseitigung übernahm und überraschend unkompliziert Gelder zur Verfügung stellte. Außerdem tat Bürgermeister Esterls Überzeugungskraft ein Übriges, der nach Beseitigung der privaten Schäden viele Spenden von Vereinen und Organisationen auf das eigens eingerichtete Schulkeller-Konto leiten konnte.
Ein Renovierungsfest brachte jede Menge Einnahmen durch bedruckte T-Shirts („Glonn schwimmt oben“), Kuchenverkauf und Versteigerung. Von den 900.000 Euro, die die Renovierung des Schul-Untergeschosses gekostet hat, verblieben zuletzt nur 100.000 Euro, die von der Gemeinde bestritten wurden. „Alles andere kam durch Initiativen, Zuwendungen und Spenden,“ bilanziert Bürgermeister Esterl.
Viele der teilweise namhaften Geldgeber und Helfer bei der Aufräumaktion waren übrigens zur Wiedereröffnung eingeladen und so mancher, der nach dem Hochwasser mit Gummistiefel, Pickel und Schaufel im Untergeschoss zugange gewesen war, traf die „Kollegen“ aus dem sponanten Räumkommando von damals bei dieser Gelegenheit wieder. Der Prokurist einer großen Firma, wohnhaft in Zorneding, hat eine 100.000-Euro-Spende für den Schulkeller in die Wege geleitet. Auch die Einrichtung der neuen Küche war eine Spende einer Küchengeräte-Herstellerfirma. Mit der neuen Einrichtung in den renovierten, hellen Räumlichkeiten macht das Kochen im Schulkeller jetzt mindestens ebenso viel Spaß wie das Werken oder Zeichnen.
Die ersten Baumaßnahmen der Gemeinde im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz wurden übrigens auch an der Schule getätigt. Eine unauffällige Absperrung und Höhenverlagerung wird im Falle einer Wiederholung derartig heftiger Regenfälle wie am 10. August das Eindringen von Oberflächenwasser in den jetzt sehr kostbar gewordenen Schulkeller verhindern. Und grundsätzlich wurde auch die Oberflächenwasserbeseitigung in der Schule vom Abwasser abgekoppelt, was im Falle eines erneuten Regensommers nicht nur dem Bauwerk selbst, sondern auch der Kläranlage zugute kommt.
Funk und Fernsehen
Eine Glonner Journalistin hat einige Wochen nach dem Hochwasser einen ziemlich giftigen Bericht über die wenig vornehme Art geschrieben, in der die Fernsehleute am 11. August in Glonn eingefallen sind. Ähnlich war allen, ob sie nun privater Rundfunk oder öffentlich-rechtliches Fernsehen waren, ein sehr bestimmtes Auftreten (unabhängig davon, ob es nun passte oder nicht) sowie die sichtliche Enttäuschung darüber, dass das Katastrophenszenario nicht so drastisch ausgefallen war wie erwartet.
Mit viel Geduld und der richtigen Einstellung brachten die Filmleute schon die passenden Hochwasser-Szenarien in ihre Redaktionen mit.
Nun ist die Zeit um die Mitte des Ferienmonats August ja eine sehr trostlose Zeit für die Presse, da sich sowohl die lokalen als auch die überregionalen politischen Größen im Urlaub befinden. Schlagzeilen liefert höchstens einmal die zweite oder dritte Garde. In dieser Saure-Gurken-Zeit kommen Unglücksnachrichten, in welcher Form auch immer, sehr gelegen. Gerade am Sonntag, wo zusätzlich Flaute im Nachrichtenlager herrscht und die mit Sonntagszulage ausgestatteten Mitarbeiter praktisch jede Zeile auf das doppelte Volumen aufblasen müssen, sind Neuigkeiten erwünscht. So verbrachte also praktisch der ganze Mitarbeiterstab der Münchner Druck-, Funk- und Filmbranche den 11. August in Glonn. Moosach und Aying waren offenbar weniger interessant, denn über die Situation in den Nachbargemeinden gab es nicht ganz so viel zu lesen und wenn, dann auch nur anfangs.
Mit wenig Feingefühl hielten die Filmleute ihre Kamera direkt in die überschwemmten Keller und fingen die erschöpften Gesichter der Helfer und Betroffenen ein. Manche Familien wurden mehrfach dokumentiert und, da das Hochwasser sich ja am Sonntag schon weitgehend verzogen hatte, in Ermangelung aktueller Szenen über die Strapazen der vorangegangenen Nacht befragt. Wirkte das verbliebene Katastrophenszenario nicht dramatisch genug, dann wurde mit ein paar Tricks auch nachgeholfen. Manchmal erschien das Auftreten der Teams bei Interviews in der Feuerwehr-Kommandozentrale tatsächlich unangemessen, wenn etwa die Filmausrüstungen fast mehr Platz beanspruchte als die Einsatzfahrzeuge. Noch drei Tage später rief mich ein Kollege eines privaten Radiokanals an, ob ich ihm besonders betroffene Bürger für ein Interview nennen könnte. Er wünschte aber ausdrücklich nur solche Opfer, die auch dialektfreies Hochdeutsch sprächen. Die Rettungsaktion mit dem Boot bei Familie Paetzmann war dann in mehreren Zeitungen nachzulesen, ebenso eine überschwemmte Familie mit schwangerer Ehefrau in einer Tiefparterrewohnung. Ob die ziemlich schwer getroffene Familie Kämpf ähnlich häufig die Presse im Haus hatte, weiß ich leider nicht. Vielleicht haben die Radio-Kollegen ihr Bayerisch halt nicht verstanden.
Während der Schadensbeseitigung waren die Kamerateams zwar nicht unbedingt eine große Hilfe für die Helfer und Betroffenen. Bürgermeister Martin Esterl und Kreisbrandrat Gerhard Bullinger nahmen sich aber doch immer Zeit für ein Interview und nutzten die Gelegenheit, die Situation in Glonn wahrheitsgemäß zu schildern. „Im Nachhinein betrachtet hat uns die Berichterstattung natürlich auch viel geholfen,“ so Esterl, der bis Weihnachten immer wieder Spenden von Vereinen und Initiativen aus ganz Bayern bis hinauf nach Nordrhein-Westfalen auf das eigens eingerichtete Hochwasser-Spendenkonto verbuchen konnte. Viele der großzügigen Geldgeber haben auch gerne einen Beitrag zur Schulhauskeller-Renovierung geleistet, nachdem zuerst natürlich die privaten Schäden und Verluste ausgeglichen worden waren. Die große Spendenbereitschaft war nicht zuletzt auch ein Ergebnis der umfassenden Berichterstattung über die Schäden in Glonn. Und manche Geldgeber entschuldigten sich auch noch dafür, dass sie nicht für die Opfer an der Elbe gespendet hatten: „Wir sind halt Münchner und da ist uns Glonn näher als Dresden,“ sagte eine Dame eines Münchner Bastelclubs, die den Erlös der Weihnachtsausstellung zu Bürgermeister Esterl ins Rathaus brachte.
Übrigens ging die allumfassende Berichterstattung in einem Fall vom überschwemmten Glonner Süden aus einmal um die ganze Welt und dann wieder zurück in die Zinneberger Straße: Bekannte einer Glonner Familie, die jetzt in Australien leben, sahen die Hochwasser-Bilder im Fernsehen. Sie riefen daraufhin bei ihren Freunden an, ob alles in Ordnung sei. Die Bewohner in der kaum überschwemmten Zinneberger Siedlung hatten den Abend mit heruntergelassenen Jalousien verbracht und sich nur gelegentlich über die zahlreichen Feuerwehrsirenen gewundert. „Wird halt ein großer Unfall sein,“ dachten sie sich – bis sie schließlich aus Australien erfuhren, was bei ihnen daheim eigentlich los war.
Bei den Nachbarn
Natürlich war das Hochwasser vom 10. August nicht nur eine spezifisch Glonner Angelegenheit. In der Marktgemeinde hatte die verheerende Wetterlage jedoch ihre deutlichsten Auswirkungen. Auch über Moosach oder Aying gingen heftige Regenfälle nieder – aber da war nicht Endstation für das viele Wasser. Auch in Moosach und Aying liefen Keller über, verwandelten sich beschauliche Flüsschen in reißende Wildbäche und wurden Brücken von den Wassermassen weggerissen.
In der Gemeinde Aying waren beim dritten Hochwasser nach dem Mai 1999 und 2001 dann im August 2002 nur zwei Keller überschwemmt. Bürgermeister Hans Eichler war daheim in Kleinkarolinenfeld, während seine Frau Rita den Abend mit Freunden verbrachte – ausgerechnet in der Wiesmühle in Glonn. Gegen 20 Uhr erreichte den Bürgermeister in Kleinkarolinenfeld (628m), wo es nur ein bisschen nieselte, der Anruf: „Hochwasser.“ Zunächst nahm er diesen Hilferuf gar nicht ernst, denn von Wolkenbrüchen war bei ihm nichts zu sehen. Aber schnell konnte er sich ein Bild davon machen, was sich in den östlichen Gemeindegebieten gerade abspielte. Kleinhelfendorf (649m) stand praktisch unter Wasser. Oberlaus (639m), Heimatshofen, Kaps (626m), Trautshofen und Kaltenbrunn (638m) hatten ähnliche Regenmengen abbekommen wie Glonn, waren aber nur Durchgangsstation für das Wasser. Die Überschwemmungen beschränkten sich auf die Gegend östlich des Moränenhügelzugs und richteten an den einzeln gelegenen Gehöften nur mäßigen Schaden an, denn das Wasser lief schnell nach unten ab. Der Lauser Weiher (560m) war, ebenso wie der Kastensee, bald über die Ufer getreten, obwohl er mit dem Lauser Bach über einen kleinen natürlichen Abfluss verfügt. Dieser Bach vereinigt sich im Reisenthal mit dem Kupferbach und auf dem Weg ins Tal riss er noch zwei weitere kleine Brücken mit sich.
Die Meldung, dass die Brücke an der Verbindungsstraße zwischen Heimatshofen und Loibersdorf weggeschwemmt worden sei, klang für Bürgermeister Eichler in Kleinkarolinenfeld völlig unverständlich. „Draußen hat´s nur ein bissl getröpfelt,“ erinnert er sich. Er ist selbst bei der Feuerwehr aktiv und als er sich dann in die bezeichneten Gegenden begab, merkte er erst was los war. Trotzdem ist Aying noch mit einem „blauen Auge davongekommen,“ wie Eichler feststellte, da die größten Regenmassen östlich des Hauptkamms der Moräne fielen und von da ab nach Osten zu Tal schossen – nach Glonn hinunter. „Östlich von Trautshofen herrschte Weltuntergangsstimmung,“ stellte der Ayinger Bürgermeister fest. Der größte Teil des Regenwassers floss nach Glonn, ein kleiner Teil auch nach Feldkirchen-Westerham.
Die Schäden in der Gemeinde Aying erstreckten sich überwiegend auf die Straßen, die dem fließenden oder vielmehr bergab stürzenden Wasser als Regenrinnen dienten: Zwischen Spielberg und Loibersdorf (645m), an dem kleinen Durchlass mit dem Löschweiher in Spielberg, an der Straße von Spielberg ins Reisenthal… Von Spielberg ins Reisenthal wurden die Straßen komplett weggerissen oder zumindest bis zur Unbefahrbarkeit unterspült. Vom Waldweg am Tellergraben war ebenfalls kaum noch etwas vorhanden. „Große Teile des damals betroffenen Gebietes entwässern in den Tellergraben, damit in den Lauser Weiher und damit nach Glonn,“ fasst Eichler zusammen. „Glonn hat´s wirklich bös erwischt.“
Nachdem das Wichtigste bei ihm zuhause erledigt war – die beiden Keller ausgepumpt und die Schäden gesichtet – fuhr der Ayinger Bürgermeister nach Glonn hinunter, wo sich seine Frau noch immer auf der Feier in der Wiesmühle befand. Telefonisch war ja die ganze Nacht in Glonn niemand erreichbar. Später erfuhr Hans Eichler von seiner Frau, dass die Gesellschaft von den Ereignissen zunächst keineswegs in Katastrophenstimmung versetzt worden war. Der Stromausfall wurde durch das Aufstellen von Kerzen in romatischer Weise überbrückt. Nebenbei sahen der Wirt und die Gäste in regelmäßigen Abständen nach dem Wasserpegel im Keller und die vor der Wirtschaft geparkten Autos der Gäste wurden je nach Wasserstand gelegentlich ein paar Straßen höher abgestellt, wo sie in Sicherheit waren. Ansonsten nahmen die Gäste das Naturereignis so gelassen wie möglich hin und warteten, in Ermangelung von Alternativen, auf bessere Zeiten.
Das hier ist kein idyllisches Flüsschen, sondern die Straße zwischen Lindach und Kreuz am 11. August 2002.
Auf seinem späteren Weg zur Wiesmühle, wo er seiner Frau zu Hilfe kommen wollte, stellte der Ayinger Bürgermeister Eichler dann das Ausmaß der Schäden im Tal fest: „Ab der Schule ging es nicht mehr weiter und bis zur Wiesmühle bin ich auch mehr gekommen.“ Er musste dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren. Erst gegen 4 Uhr hatte sich das Wasser so weit verzogen, dass auch die Gesellschaft in der Wiesmühle sich auf den Heimweg machen konnte. So richtig gefährlich war es, rückblickend betrachtet, zwar nicht geworden. Aber ein im Überschwemmungsgebiet geparktes Auto wäre in dieser Nacht vermutlich nicht mehr zu retten gewesen. Die beiden Ayinger Feuerwehren haben, nachdem die eigenen Schäden weitgehend beseitigt oder abgesperrt waren, Hilfe bei den Nachbarn in Feldkirchen (609m) und in Laus geleistet.
Das dortige Feuerwehrgebäude stand auch noch unter Wasser, weil der Lauser Weiher über die Ufer getreten war. Insgesamt war Aying von dem Hochwasser 2002 weniger betroffen als von den beiden Mai-Ereignissen 2001 und 1999 (das Pfingsthochwasser, das auch in Glonn vor allem an den Brücken etwas geringere Schäden verursachte). Eichler hat erfahren, dass es jedes Mal anders war: 1999 ging es ganz langsam, „da hat man zuschauen und reagieren können.“ 2001 dagegen, als die Wolkenwand zwei Stunden lang über Aying stand und sich entleerte, waren die Menschen der Natur völlig ausgeliefert – so ähnlich wie ein Jahr später in Glonn.
Aus all diesen Ereignissen wurden Lehren gezogen und einige Maßnahmen sind mittlerweile getroffen worden, die ein ähnliches Szenario künftig verhindern helfen sollen. Als die Mauer am Kindergarten Aying an der Kaltenbrunner Straße erstellt und diverse andere Hochwasser-Sicherungsmaßnahmen, etwa ein Regenrückhaltebecken gebaut wurden, schüttelten die Leute anfangs noch den Kopf, zumal das dortige kleine Bächlein normalerweise kaum Wasser führt. Die Sicherungsmaßnahmen bewährten sich dann schon 2001 und „nach dem August 2002 hat keiner mehr was gesagt,“ stellt Eichler fest. Zur Häufigkeit der Regenereignisse stellte sich die Lage in Aying ähnlich wie in Glonn dar: Vor den Pfingstregenfällen 1999 war lange Zeit nicht die Rede von Hochwasser. Nach einigen niederschlagsreichen Jahren um die Jahrtausendwende 2000/2001 herum stand das Grundwasser aber in der ganzen Region hoch und der Regen versickerte nur noch schleppend auf den getränkten Wiesen. Einige Ayinger Bauern, die regelmäßig die Niederschläge kontrollieren, bestätigten: Auch hier konnte man am 10. August durchaus von einem Jahrhundertregen sprechen. Zwar gibt es in der Gemeinde Aying zudem Grundwassermessstellen. Dieser Pegel spielte allerdings 2002 keine Rolle, da die Schäden nicht durch stehendes wie in Glonn, sondern nur durch fließendes Wasser verursacht wurden. Und das Grundwasser in Aying steht auch grundsätzlich nicht so knapp unter der Erdoberfläche wie in Glonn, sondern 35 bis 50 Meter tiefer. Der tatsächlich vorhandene Grundwasserhochstand von 1999 bis 2002 war höchstens an den Wiesen abzulesen, auf denen, ähnlich wie am Golfplatz Egmating oder um den Kastensee herum, die Wasserpfützen fast drei Jahre lang nicht mehr verschwanden. Nach zwei sehr trockenen Sommern 2003 und 2004 hat sich die Lage wieder entspannt – in Aying, in Kastenseeon und auch in Glonn.
Moosach
Sechs Kilometer entfernt, in Moosach (529m) spielten sich ganz ähnliche Szenen wie in Glonn ab: Die Feuerwehren waren, mit Unterstützung der Nachbarn, rund um die Uhr im Dauereinsatz. Der Ortskern stand zur Zeit des Starkregens in der Nacht zum Sonntag gut einen Meter hoch unter Wasser. Und ganze Ortsteile waren durch die Überschwemmungen nicht mehr erreichbar. Auch in Moosach wurde ein Schulkeller überflutet, der aber nicht ganz so groß war wie in Glonn. Und der Jugendtreff, das alte JIM, war nach dem Hochwasser nicht mehr zu retten. In der Fischzucht Plenagl wurde die gesamte Nachzucht aus den oberen Teichen vom Wasser einfach weggespült. Vermutlich erfreuten sich die damaligen Jungforellen auf den nächsten Metern der Moosach noch lange nach dem Ereignis ihrer unerwartet gewonnenen Freiheit.
Der etwas höher gelegene Ortsteil Altenburg (544m) war in dieser Nacht nicht mehr erreichbar. Die Feuerwehr gelangte höchstens über geheime Schleichwege zu den einzelnen Anwesen, wo sie allerdings nur wenig ausrichten konnte, bevor das Wasser nicht wieder weitgehend abgelaufen war. Auch in Moosach hat es ein Neubaugebiet erwischt: „Am Doblbach“ waren zahlreiche Keller überschwemmt. Nachdem sich das Wasser allmählich wieder zurückgezogen hatte, zeigten sich hier die späten Spuren der Überflutung. Wie überall nach einem derartigen Wassereinbruch waren viele Öltanks ausgelaufen und der Inhalt hatte sich an den Wände abgelagert. Das machte eine gründliche Renovierung nötig. Eine bisschen Hochwasser-Geschichte gibt es natürlich auch aus Moosach zu berichten. Bei der vorletzten Überschwemmung 1954 herrschten ähnliche Rahmenbedingungen wie 2002: Heftige Regenfälle hatten bereits im Vorfeld des Ereignisses dafür gesorgt, dass die Natur kaum noch Spielraum hatte, die Niederschläge auf Feldern und Wiesen versickern zu lassen. „Damals hatten wir ja noch nicht mal einen Kanal,“ erinnert sich Bürgermeister Siegfried Eisenschmid. Obwohl mittlerweile durch den Bau der Abwasseranlage größere Kapazitäten zur Ableitung des Oberflächenwassers geschaffen worden sind, hat der Kanal im Jahr 2002 auch nicht mehr viel geholfen: Die Niederschläge waren mit 107,6 Millimeter innerhalb von vier Stunden einfach zu gewaltig. „Das war ja schon fast der Wert eines Jahrtausendhochwassers,“ sagte Johann Dallmeier vom Wasserwirtschaftsamt.
Ob das Wasser nun von oben oder von unten kam, war bei Szenen wie dieser nicht mehr zu erkennen.
Ähnlich wie die Glonner sind auch die Moosacher an hohe Grundwasserstände gewöhnt. Im regenreichen Jahr 2002 stand der Pegel an vielen Stellen knapp unter der Oberfläche und am 10. August drang in manchem Keller das Wasser nicht nur von oben, sondern auch von unten durch. Vor allem in den Mühlen, die ja von Haus aus nah am Wasser gebaut sind, war am 10. August „Land unter“. Eine Bewohnerin in Moosach, die einen solchen Wassereinbruch von allen Seiten zuvor noch nie erlebt hatte, wurde von den Aktiven der Feuerwehr fachkundig beruhigt: „Des kriang ma schon.“ Für eine Bewohnerin der Altenburger Mühle war es zwar nicht das erste Hochwasser, das sie erlebte – aber das schlimmste. Vor 2002 ließ sich ein Wassereinbruch in der Erdgeschosswohnung stets durch Sandsäcke vor der Haustür vermeiden. Diesmal nützte diese Maßnahmen nichts mehr. Nicht allzu lange Zeit vor dem Hochwasser hatten die Moosacher mit ihrem Dorferneuerungsprogramm begonnen. Mit diesem Programm lassen sich gewachsene, in der Neuzeit zunehmend zersiedelte Orte wieder auf ihren historischen Kern zurückführen. Auf diesem Weg sollen die Bürger viel mitgestalten und die alte Identität des Dorfes neu entdecken. Die Einzelmaßnahmen werden zum Teil staatlich gefördert. Die Federführung obliegt dem Landwirtschaftsministerium und dort exakt der Behörde, die in früheren Zeiten für die Flurbereinigung zuständig war und damit keinen geringen Beitrag zur Über-Anpassung kleiner Gemeinden an den Fortschritt der 60-er und 70-er Jahre geleistet hat. Wie auch immer – der Schritt zurück zur neu-alten Identität stieß in Moosach auf viel Interesse der Bürger und wurde von allen Seiten begrüßt. Mehrere Arbeitskreise zu verschiedenen Themengebieten entstanden, die sich mit lokalen Problemzonen befassten. Die Abteilung Natur, Landschaft und Gewerbe hatte bereits vor dem 10. August eine Renaturierung der Wiesen und Bäche angeregt. Das Hochwasser war aber schneller als jede mögliche Gegenmaßnahme und überschwemmte die fraglichen Zonen, bevor Konzepte dagegen erarbeiten werden konnten. Mittlerweile wurden an mehreren Stellen bereits Teilbereiche umgestaltet.
Übrigens hat auch Glonn neuerdings mit der Nachfolgebehörde des Flurbereinigungsamtes zu tun: Die kommenden Hochwassermaßnahmen sollen in der Dorferneuerungsabteilung koordiniert werden. Allerdings sind mittlerweile die Gelder rar geworden – oder es liegt daran, dass hierzulande die Behörden auch nicht schneller arbeiten als anderswo – auf jeden Fall ging in Glonn seit dem letzten zustimmenden Beschluss des Gemeinderats auch nicht mehr viel vorwärts beim Hochwasserschutz.
Nachlese: Viele freiwillige Helfer halfen in den Wochen nach dem Hochwasser mit, die Wiesen und Felder vom angeschwemmten Material zu säubern.
Weitere Aussichten
Beim Stichwort „Jahrhunderthochwasser“ bringt die Suchmaschine von Google 21.100 Einträge, darunter das Hochwasser 2003 im Aargeuer Wynetal, 2002 in Ostdeutschland, 1999 in Kottgeising am Ammersee, auf der Berner Matte, in Stuttgart und Kelheim nach dem Wirbelsturm Lothar und noch viel mehr Überschwemmungen in Deutschland aus den letzten Jahren. Womöglich hat diese Flut der Hochwässer mehr mit der technischen Entwicklung des Internets als mit der heraufziehenden Klimakatastrophe zu tun (wobei das Eine das Andere natürlich nicht ausschließt). Klassifizierungen wie „nie dagewesen“, „einzigartig“ und „verheerend“ fehlen in kaum einer der Veröffentlichungen, aber das könnte natürlich seine Ursache auch im Zeitungsdeutsch haben, das nun einmal von Superlativen lebt. Im April 2005 hat es übrigens auch Rumänien schlimm erwischt. Davon war allerdings zunächst gar nicht viel zu lesen oder zu sehen – schließlich handelt es sich bei der Gegend um den Temes ja auch nicht um eine deutsche Urlaubsregion, was die Berichterstattung noch einmal angefeuert hätte und es gab da auch nicht so viele Todesopfer wie in Südostasien. Auf jeden Fall hat es in Rumänien in manchen Dörfern fast alle Häuser weggerissen, die aus Lehm gebaut sind und den Fluten nicht standhielten. Die Europäische Union gewährte Aufbauzuschüsse. In den bayerischen Zeitungen war erst zwei Wochen danach ein wenig über das Unglück zu lesen, als sich das Wasser schon wieder verzogen hatte und das Ausmaß der Verwüstung sichtbar wurde.
In Glonn waren die Schäden 2002 vor allem deswegen so hoch, weil, im Gegensatz zu einem Hochwasser vor hundert Jahren, bebautes Gebiet betroffen war – vermutlich ebenso wie in Stuttgart, Dresden, Kelheim und überall sonst im Land. Übrigens bezeichnet der Begriff „Jahrhundert-Hochwasser“ im Amtsdeutsch kein spezielles, unwiederholbares Ereignis, sondern nur einen schlichten Mittelwert. So gesehen ist auch das nach diesem August schnell erfundene „Jahrtausend-Hochwasser“ nur eine statistische Größe: Ein Hochwasser, wie es rechnerisch alle tausend (oder eben dann alle hundert) Jahre vorkommt. Mathematisch gesehen. Tatsächlich könnte es natürlich schon heuer wieder so weit sein – und wer diesen Aspekt untersuchen will, der muss sich dann doch wieder eher mit Klimaveränderungen und Wetterkunde befassen.
Naturnahe Flusslandschaften sollen künftig mehr Wasser aufnehmen, bevor es in die bewohnten Gebiete eindringt.
Trotz allem hat das Glonner Hochwasser nicht nur direkte Auswirkungen auf viele Betroffene gehabt. Es änderte sich auch grundsätzlich allerhand und es tut sich immer noch was im Ort. Vor diesem denkwürdigen Tag im August 2002 gab es offenbar nur eine einzige Instanz, die auch nur annähernd so etwas wie ein Jahrhundertwasser für möglich gehalten hatte – wenn auch nur theoretisch: Das Bauamt des Landratsamtes Ebersberg. Wenn vor dem August 2002 in einer der zahlreichen Behördenstellungnahmen der unvermeidliche Hinweis auf eine theoretisch zu beachtende, katastrophale Überschwemmung kam, dann schüttelten die Bauherren (und so mancher Kommunalpolitiker) resigniert den Kopf. Die vorgeschriebenen Vorsorgemaßnahmen für einen solchen Fall machten Bauvorhaben in bestimmten Zonen teuer und mit so etwas hat vorher ja wirklich niemand gerechnet. Vermutlich nicht einmal die Beamten selbst, deren theoretische Überschwemmungs-Szenarios zuletzt von der Realität sogar noch übertroffen wurden. Seit dem Hochwasser-Sommer sind die Proteststimmen gegen geforderte Überschwemmungsvorsorge-Maßnahmen verstummt. Die Marktgemeinde ist sogar dabei, aktiv an den Schutzvorkehrungen mitzuwirken. Und niemand schüttelt darüber verständnislos den Kopf, denn 2002 ist allen Bürgern noch in dramatischer Erinnerung.
Da es sich beim dem Hochwasser 2002 um ein extrem lokales Ereignis handelte (wie auch 1999 und 2001 in Aying oder 1954 in Moosach), sind konkrete Vorhersagen für die Zukunft daraus natürlich schwierig. Wäre die Regenfront nur ein paar Kilometer weiter westlich niedergegangen, dann hätten sich die Auswirkungen für die betroffenen Gemeinden völlig anders dargestellt, da sind sich Laien und Spezialisten einig. Ohnehin haftete den Auflagen für Glonner Bauvorhaben schon in der Vergangenheit immer etwas Willkürliches an und der Praxistest am 10. August zeigte an vielen Stellen ein ganz anderes Bild als theoretisch vorhergesagt. Grundsätzlich trafen beim Ereignis im August 2002 so viele Faktoren zusammen, dass eine exakte Wiederholung genau dieses Hochwassers so unwahrscheinlich wäre „wie ein Sechser im Lotto“, so Bürgermeister Esterl. Trotzdem wurden einige Weichen inzwischen umgestellt.
160.000 Euro hat das Hochwasserschutzkonzept gekostet, das die Büros Michael Schober aus Freising und Michael Glück aus Glonn erarbeitet haben. Für diese Studie gab es 75 Prozent Zuschuss vom Freistaat Bayern. Die Ergebnisse haben zwar kaum jemanden überrascht. Nur sind die menschlichen Eingriffe in die Natur, wie sie in den letzten Jahrhunderten vollzogen wurden, in dieser Deutlichkeit noch nie im Einzelnen dargestellt worden. Kaum einer der Bäche und Flüsse in der gesamten Region verläuft heute etwa noch in seinem ursprünglichen Bett. Mit Begradigungen und Verrohrungen haben die Menschen seit Jahrzehnten in die natürliche, mäandernde Struktur der Fließgewässer eingegriffen und damit einen großen Teil des früher vorhandenen potentiellen Überschwemmungsbereiches entlang der Flussläufe beseitigt. Eine Konsequenz aus der Hochwasserstudie ist die Schaffung neuer Retentionsräume (Bereiche, in denen das Wasser für eine Übergangszeit schadlos über die Ufer eines Gewässers treten kann). Auch viele Flussgehölze sind verschwunden, von denen eine bremsende Wirkung hätte ausgehen können. Im Unterschied zu der Zeit vor dem Hochwasser hat das Bedauern über das Verschwinden der natürlichen Flusslandschaften heute jedoch nicht nur eine irgendwie ökologische, dekorative Bedeutung. Jetzt geht es auch darum, künftig konkreten Schaden abzuwenden.
Die Begeisterung für Begradigungen, Verbreiterungen und Anpassung der Gewässer an die Anforderungen von Landwirtschaft und Wohnraumbedarf war in Bayern nicht ganz so bedingungslos wie im Osten Deutschlands, der wenige Tage nach Glonn von einem um ein Vielfaches schlimmeren Hochwasser getroffen wurde. Die Weichen stehen hierzulande aber doch erst einmal auf Wiederherstellung des natürlichen Umfeldes, so weit möglich. Weitere Anpassungen der Natur an die Bedürfnisse der Zivilisation werden – zumindest im Raum Glonn .- künftig nur noch äußerst behutsam erfolgen. Die betroffenen Grundbesitzer haben bisher überwiegend lebhaft Anteil genommen an den Informationsveranstaltungen und Diskussionen nach dem Hochwasser. Auch die Erhöhung der Grundsteuer, die neuerdings rund 45.000 Euro Mehreinnahmen für die Hochwasservorsorge in die Gemeindekasse Glonn bringt, wurde ohne Proteste akzeptiert. „Diese Summe reicht natürlich bei weitem nicht aus,“ sagt Bürgermeister Esterl. Als nächstes Projekt zum Schutz der Wiesmühle und der Gegend bis hin zum Sportplatz vor einem weiteren Hochwasser ist eine Aufschüttung geplant. Bereits vorhandene Erdwälle sollen genutzt und erweitert werden, so dass sich künftig ein gezielter Abfluss in eine vorgegebene Richtung vollziehen kann, die keine größeren Schäden verursacht. Bei einem vergleichbaren Unwetter wie 2002 müssten eine Million Kubikmeter Wasser zurückgehalten werden, um Glonn schadensfrei zu halten – eine kaum zu bewältigende Aufgabe.
Sollte sich tatsächlich in den nächsten Jahren wieder ein ähnliches Unwetter über Glonn und die Umgebung ergießen, dann wären die Menschen besser vorbereitet, glaubt Esterl. 2002 hatte niemand auch nur im Entferntesten ein derartiges Szenario für möglich gehalten. Mittlerweile sind vor allem auf dem privaten Sektor eine ganze Menge Vorsorgemaßnahmen getroffen worden: Bei vielen Leuten liegen die Sandsäcke griffbereit in der Garage; Mauern zum Schutz vor Wassereinbrüchen wurden gezogen und wasserdichte Lichtschächte in vielen privaten Kellern eingebaut. Auch für die Heizungsanlagen in den potentiell gefährdeten Gebieten gelten jetzt strengere Vorschriften. Und sollte sich nach drei Regenjahren der Untergrund künftig einmal wieder ähnlich vollgesogen haben wie damals und es wäre eine weitere Gewitterfront im Anzug, dann würde es die Menschen jetzt wohl nicht mehr ganz so unvorbereitet treffen. Die Erinnerung an das Katastrophenszenario ist noch frisch und die Sandsäcke liegen griffbereit.
Zur Autorin
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Die Autorin dieser Hochwasser-Chronik, Konstanze Kilger (geboren 1963), arbeitet seit vielen Jahren als freie Journalistin im Münchner Süden und hat das Glonner Hochwasser und seine Folgen hautnah miterlebt. Sie kennt viele der Betroffenen persönlich, mit denen sie nach dem Ereignis Gespräche führen konnte. Sie recherchierte schon vor zehn Jahren über die Auswirkungen der früheren Überschwemmungen und führte viele Zeitzeugen-Gespräche. Die Autorin verfasst Bücher, Artikel, persönliche Biografien und Chroniken.
Konstanze Kilger
Zum Schluss…
…danke ich noch ganz herzlich dem gewissenhaftesten Korrekturleser aller Zeiten, meinem Vater Paul Kilger. Außerdem vielen Dank an die Bürgermeister Martin Esterl aus Glonn und Hans Eichler aus Aying, die mir ihre perönlichenHochwasser-Erlebnisse erzählt haben und das Endprodukt korrigiert haben. Das Foto mit der 100.000-Euro-Spende bekam ich von der Gemeinde Glonn, ebenso die historischen Hochwasser-Bilder von 1940. Für das Kapitel Moosach danke ich dendortigen Feuerwehr-Kommandanten Herbert Weidlich für seine Schilderungen und das Material, das er mir zur Verfügung gestellt hat.
Einen nicht unerheblichen Teil hat auch mein Mann Alfred Sedlbauer geleistet, nicht nur bei den diversen Hürden, die sich im Laufe der technischen Realisierung des Projektes ergaben, sondern auch mit seinen wichtigen Fragen (auf die ich manchmal gar nicht selbst gekommen wäre) im Laufe der Entstehungsgeschichte dieser Chronik.
Man kann das echte Buch auch für 10,50 Euro incl. Porto und Versand erwerben.
Konstanze Kilger
Am Ried 18
85658 Egmating
Tel 08095/ 870267
Email an Konstanze Kilger
Im Juli 2005