Dieser Text von ©Hans Obermair erschien am 19.5.2021 in der Ebersberger Zeitung
Wahrscheinlich war unser Gebiet ursprünglich Fiskalland, also Land, das im staatlichen Eigentum war, das dann im Zuge der Entwicklung des Christentums zu einem guten Teil an Klöster und kirchliche Einrichtungen (hat sich durch Schenkungen erhöht), und auch an den Adel, als „Obereigentum” übertragen wurde. Ein Teil bleibt beim Landesherrn. Im geringen Maße gab es auch Eigentum des Nutzers im heutigen Sinn. Das „Obereigentum”, das ursprünglich auch Gerichtsrechte umfasste, wurde überwiegend von „Hintersassen” als Lehen (nur Nutzungsbesitz) bewirtschaftet. Im Gegenzug mussten an den Grundherrn verschiedene Leistungen wie Scharwerk, Geld- und/oder Naturalabgaben erbracht werden. Bei Nutzer- oder Herrenwechsel konnte eine extra Abgabe (Laudemien) anfallen. Im Falle eines Unglücks, wie Feuer, Hagel Seuchen oder Trockenheit gab es die Hilfe der Grundherren.
Die Leihformen (Lehen) zwischen Nutzer und Eigentümer waren vielfältig. So gab es z.B. das Erbrecht, das auf die Nachkommen übergehen konnte, das Leibrecht war auf das Leben des Untereigentümers abgestellt und die Neustift auf die Lebenszeit des Grundherren. Dann gab es auch Zwischenformen unterschiedlicher Art. Wahrscheinlich waren die kirchlichen Obereigentümer nicht nur die meisten, sondern auch die beliebtesten. Ihre „Oberen”, wie Äbte und Pfarrer, stammten ja häufig aus dem Bauernstand und wussten aus eigenem Erleben, was Wohl und Wehe bedeutet. Das damalige Sprichwort „unterm Krummstab ist gut leben” bringt dies zum Ausdruck.
Erfüllte ein Hintersasse seine Aufgabe nicht, konnte er „abgestiftet” werden, das heißt, er musste gehen. Dies war aber sehr selten der Fall. Wenn es zu einem Familienwechsel auf einem Anwesen kam, dann in der Regel deswegen, weil keine Nachkommen vorhanden waren. Und so bewirtschafteten nicht wenige Familien über Jahrhunderte das gleiche Anwesen. Erst mit der sogenannten „Bauernbefreiung” im Jahre 1848 gab es dann endgültig für alle uneingeschränktes Eigentum, das natürlich auch verkauft werden konnte. Die Gegenleistung war Ablösung und/oder Bodenzins.
Die Anwesensgrößen waren gestaffelt in Höfe (1/1), Huben (1/2), Lehen (1/4) und Sölden (1/8). Hinzu kamen „Leerhäuser”, in der Regel 1 /16-Anwesen. Das Kriterium für die Zuordnung war nicht eine bestimmte Fläche, sondern die Ertragskraft des Gutes. Dieses sogenannte Hoffußsystem, das für ganz Altbaiern galt, war über Jahrhunderte eine Besteuerungs- und Abgabengrundlage für die Landes-, Gerichts-, Grund- und Pfarrherren. Die einzelnen Anwesen waren in Urbaren oder Saalbüchern aufgezeichnet und beschrieben. Da die Grundstücke nicht vermessen waren, wurde der Grundstücksnachbar als Anrainer genannt. Damit waren Lage und Größe bestimmbar. Weitere Aufzeichnungen bestanden z.B. als Steuerbücher, Feuerstättenbücher, Hofanlagen- und Scharwerksverzeichnisse. Erst mit der Anlage von Hypotheken- und Grundbüchern zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es dann Plan- und Hausnummern.
Vorher war der Haus- oder Hofname, der Familienname konnte ja wechseln, für die Verwaltung der Anwesen das gängige Ordnungsmerkmal.
Die rechtliche Struktur ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Zwei Nachbarn konnten zum Beispiel verschiedenen Gerichtsherrn, wenn auch mit gleichen Rechtsnormen, unterstellt sein. Es gab die Hochgerichtsbarkeit („Malefizhändel”z.B. Mord/Notzucht/Diebstahl), diese hatte in der Regel der Landesherr inne, der sie über seine Landgerichte ausübte. Für unser Gebiet war das Gericht Schwaben zuständig. Das Recht der Niedergerichtsbarkeit (kleinere Vergehen) wurde häufig von sogenannten Hofmarken (geschlossene oder offene) ausgeübt, wie zum Beispiel Zinneberg eine war. Bei geistlichen Hofmarken war ein weltlicher Vogt zuständig. War der Hofmarktsherr- bzw. Richter oder das Objekt zu weit entfernt, konnte er das Gerichtsrecht z.B. auf eine fremde Hofmark übertragen. Das Kloster Dietramszell, das in der Gemeinde Glonn einiges an Obereigentum und niederer Gerichtsbarkeit innehatte, hatte z. B. sein Recht in dieser Gegend an Zinneberg (Pienzenauer) übertragen.
Unterste „Behörde” des Gerichtsherrn war die Hauptmannschaft, die ursprünglich für militärische Zwecke eingeführt, und für je zehn Anwesen eingerichtet war. Mehrere Hauptmannschaften konnten zu „Obmannschaften” zusammen gefasst sein. Dieses Rechtssystem bestand bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders niedere Gerichtsbarkeiten waren des Öfteren in Händen der Grundherren. Der oberste Gerichtsherr war natürlich über seine Gerichte der Landesherr.
Der Pfarrherr war in erster Linie für das Kirchenwesen und für die örtliche Gemeinschaft zuständig und wohl der „Herr” im Ort. Die Bezeichnung „Insa Herr” für den Ortspfarrer bis ins letzte Jahrhundert üblich, mag daran erinnern. Über die Religion hatte er den größten Einfluss auf das tägliche Leben. Zudem war er auch der „Herr”, der am nächsten war. Über seine Pfarrei, war er für das Bildungswesen zuständig. Ebenso für Kranken- und Armenpflege und gegebenenfalls für den Dorfhirten, wenn sonst kein Träger, wie z.B. eine Hauptmannschaft, vorhanden war.
Träger einzelner Aufgaben konnte auch eine Bruderschaft sein, in Glonn z.B. die Armenseelenbruderschaft. Zur Finanzierung dieser Aufgaben mussten neben den grundherrlichen Einnahmen, soweit die Kirche auch Grundherr war, auch „Zehent”, das war in der Regel ein Zehntel z.B. des Ernteanteiles, geleistet werden. Ob Naturaloder Geldleistung, das war verschieden. Aber auch Hand-und Spanndienste, insbesondere bei größeren Vorhaben, z.B. einem Kirchenbau, waren üblich.
Überdies wurde durch den Pfarrer die Landwirtschaft, der „Pfarrhof” seiner Pfarrei geführt. Er war sozusagen auch Bauer, natürlich mit entsprechendem Gebäuden und Personal. Häufig war er ein Bauernbub und/oder hatte möglicherweise in seiner Kaplanzeit schon auf anderen Pfarrhöfen die Landwirtschaft kennen gelernt. Oft war er der Einzige in seiner Pfarrei, der die Fachliteratur auswerten konnte. Neues Wissen in der Landwirtschaft stand ihm also vorrangig zur Verfügung. Damit konnte er auch „Vorzeigebauer” sein und übte so Einfluss auf das landwirtschaftlich Geschehen in der Gemeinde aus. Und damit auch auf den Wohlstand seiner Pfarrei.
Das System der „drei Herren” über dem Landmann, wurde natürlich immer wieder angepasst und ergänzt. Sicher mag es auch unzufriedene Bauern und lokale Aufstände gegeben haben, aber einen „Bauernkrieg”, so wie in anderen Gebieten Deutschlands gab es in Altbai- ern (Ober-, Niederbaiern und Teile der Oberpfalz) nicht. Letztlich war das alte System über ein halbes Jahrtausend Garant für Stabilität und Wohlfahrt unseres „Altbaiern”. Erst durch die Säkularisation 1802/1803 wurde dieses System in Frage gestellt – eine radikale Änderung wurde eingeleitet.